Compliance-Programme sind in Unternehmen auch im Blick auf die 2016 in Kraft getretene Know-how-Schutz-Richtlinie kein theoretisches „Luxusproblem“ mehr, das sich höchstens internationale Großkonzerne leisten wollen und können. Die Know-how-Schutz-Richtlinie enthält mit der Pflicht zu angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen eine Pflicht, die bei genauer Betrachtung nichts anderes ist als eine Ausgestaltung der Pflicht zur Ein- und Durchführung eines Compliance Management Systems. Diese Pflicht ist kein Luxus: ein offenbartes Geheimnis, das diese Anforderung nicht erfüllt, kann durch diese Richtlinie schutzlos gestellt werden.
Was bedeutet „angemessene Anstrengungen“?
Die Richtlinienbegründung stellt klar, dass im Interesse von Innovation und Wettbewerbsförderung keine Exklusivrechte aus dem Know-how-Schutz entstehen sollen, insbesondere soll beispielsweise das „Reverse Engineering“ bei einem rechtmäßig erworbenen Produkt als rechtlich zulässiges Mittel zum Erwerb von Informationen angesehen werden.
Die Vorgaben der Richtlinie an geheimes Know-how (technisch oder kaufmännisch) erfordern, dass die Information geheim ist, somit weder allgemein bekannt noch ohne weiteres zugänglich ist, einen kommerziellen Wert hat, weil sie geheim ist und den Umständen entsprechende angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen durch die Person, die die rechtmäßige Kontrolle über die Information besitzt, getroffen wurden (Art. 2 Abs. 1). Für diese Definition wird es keine allgemeingültige Vorgabe für alle geben können. Bei genauerer Betrachtung kann hier jedoch ein Know-how Compliance Management System (Know-how-CMS) helfen (zur Compliance als allgemeiner Unternehmenspflicht siehe bereits Compliance als Unternehmerpflicht? – Ja.). Das Know-how-CMS dient hier der strukturierten Sicherstellung der Einhaltung der gültigen Gesetze und Regeln, insbesondere der unternehmensinternen Regeln im Umgang mit Geschäftsgeheimnissen im Unternehmen sowie der Organisation und Überwachung der Vereinbarungen mit Geschäfts- und Entwicklungspartnern. Es wird mithin nichts mehr dem „Zufall“ überlassen, sondern es werden alle, zumindest aber die augenscheinlich risikoträchtigen Unternehmensabläufe auf den Geheimnisschutz hin überprüft, erforderlichenfalls angepasst und den jeweiligen „Anwendern“ - insbesondere den Mitarbeitern - verbindlich vorgegeben sowie mit Geschäfts- und Entwicklungspartnern vereinbart.
Wie hilft ein Know-how-CMS bei der Wahrung des geheimen Know-hows?
Die Richtlinie soll zum einen der Harmonisierung des Schutzes gegen rechtswidrigen Erwerb und Nutzung von Know-how dienen, gleichzeitig aber auch der Förderung von Innovation und Wettbewerb. Aus diesem Grund gibt es zum einen gegenüber der bisherigen Rechtspraxis in Deutschland erhöhte Anforderungen an den Geheimnisschutz als auch Definitionen von rechtmäßigem Know-how Erwerb, um die Möglichkeit der unabhängigen Entwicklung desselben Know-hows zu erhalten.
Ein einmal offenbartes ungeschütztes Geheimnis lässt sich nicht wieder schützen. Ist der Schutz des Know-hows ohne Organisation und Überwachung erfolgt und erreicht nicht den Grad an Angemessenheit, der für das jeweilige Geheimnis notwendig wäre, stehen in Zukunft insbesondere kleinere Unternehmen, deren Unternehmensstrategie häufig mehr auf Geheimhaltung als beispielsweise auf Patentschutz setzt, möglicherweise dem Missbrauch Ihrer Geschäftsgeheimnisse schutzlos gegenüber.
Das Know-how-CMS kann nicht nur helfen, vor rechtswidrigem Erwerb von geheimem Know-how und damit verbundenen Verlusten von Marktanteilen zu schützen, es hilft auch dabei, einen Überblick über Schutzrechte und deren Kosten zu bewahren und Vereinbarungen mit Dritten zu überwachen.
Was sind die notwendigen Inhalte eines Know-how Compliance Management Systems?
Ein allgemeingültiges Know-how-CMS gibt es nicht. Entscheidend für dessen Ausgestaltung und Umfang im Einzelnen sind vielmehr Art, Größe, und Organisation des Unternehmens, die von ihm zu beachtenden Vorschriften, seine geografische Präsenz, das Wettbewerbs- und Kundenumfeld, die Branche, Produktentwicklungs- und Produktlebensspannnen aber auch Fälle von bekannter oder vermuteter widerrechtlicher Aneignung von geheimem Know-how.
Die Ausgestaltung muss für jedes Unternehmen auf einer umfassenden, unternehmensweiten Wissens-, Informationsbestands- und Risikoanalyse basieren, deren Grundlage wiederum das jeweils unternehmensspezifisch definierte Know-how, das Wettbewerbs- und Kundenumfeld bildet. Ein funktionierendes Know-how-CMS erfordert dann zunächst eine eigene Organisationsgestaltung inklusive Entscheidungshilfen, die neben einer Pflichten- und Kompetenzzuordnung die Strukturierung, Kategorisierung, Bewertung, Kontrolle und Überwachung des Know-hows selbst und den Zugriff auf dieses regelt. Das Ergebnis dieser Analyse und Organisation kann Anpassungen einzelner Prozessabläufe bis hin zu mehr oder weniger weitreichenden Unternehmensreorganisationen bewirken, insbesondere in der Produktentwicklung und Vermarktung.
Ein solches Know-how-CMS hat zudem Auswirkungen auf arbeitsrechtliche Regelungen, beispielsweise Geheimhaltungsvereinbarungen und gegebenenfalls Wettbewerbsverbote für Unternehmensangehörige, die zudem über die Sanktionen rechtswidriger Offenbarungen und Nutzungen belehren. Gleiches gilt für Dritte, insbesondere Geschäftspartner. Zwingend geboten sind darüber hinaus die Ausarbeitung eines (internen) Leitfadens für den Umgang mit tatsächlichen „Compliance-Vorfällen“ sowie die Übermittlung der einzelnen Programminhalte an die Mitarbeiter durch entsprechende Schulungen, ein nicht zu unterschätzendes Risiko ist hierbei der Umgang mit Social Media und anderen Publikationsformen.
Wurde die Absicherung des geheimen Know-hows durch flankierende Schutzrechte unterlassen und sind die Geheimhaltungsmaßnahmen beispielsweise durch Reverse Engineering gegenstandslos geworden, kann ein Wettbewerber, durch das Reverse Engineering gewonnenes technisches Wissen möglicherweise noch als Patent anmelden und somit seinerseits Anwendungen blockieren.
Die Geheimhaltung insbesondere des eigenen technischen Know-hows macht daher auch die regelmäßige Überwachung der Wettbewerber erforderlich, zum einen hinsichtlich rechtswidrigen Erwerbs von Know-how, aber vor allem auch hinsichtlich der Frage der Blockade des eigenen rechtlichen Dürfens z.B. durch Patente Dritter.
Ein permanentes Überwachen und eventuell gebotenes Anpassen des einmal geschaffenen Systems bilden daher die zukünftige Daueraufgabe. Ohne deren Wahrnehmung wäre es kein vollkommenes Know-how-CMS, das die mit ihm angestrebten Vorteile letztlich erst gewährt.
Fazit:
Die Richtlinie gewährt mehr Schutz als bisher um den Preis des Nachweises einer Know-how-Organisation und -Sicherung
Autorin dieses Fachbeitrags: Saskia Börger B.Sc. (Chem. & Biochem.). Bei Fragen zum Thema "Know-how-Schutz-Richtlinie" wenden Sie sich bitte an Dr. Stefan Rein.