Erbrecht

Pflichtteil - häufig gibt es mehr als man denkt

- Armin Abele

Führen lebzeitige Geschenke des Erblassers zu höheren Pflichtteilen?

Für einen bestimmten Personenkreis hat der Gesetzgeber beim Tode eines Erblassers eine Mindestbeteiligung an dessen Nachlass vorgesehen, den so genannten Pflichtteil. Dieser ist ein auf Geld gerichteter Anspruch, der sofort mit dem Tode des Erblassers gegenüber den Erben geltend gemacht werden kann  und wertmäßig die Hälfte des gesetzlichen Erbteils beträgt. Zum Kreise der Pflichtteilsberechtigten zählen die Kinder, der Ehegatte und sofern keine Abkömmlinge vorhanden sind, die Eltern des Erblassers. Die Geschwister gehören nicht dazu, wie häufig irrtümlich angenommen wird.

Immer wieder kommt es vor, dass pflichtteilsberechtigte Erben oder enterbte Pflichtteilsberechtigte einen Anteil an dem zu Lebzeiten des Erblassers verschenkten Vermögen als „Pflichtteilsergänzungsanspruch“ geltend machen könnten, dies aber übersehen und damit bares Geld verschenken, so Fachanwalt für Erbrecht Armin Abele aus der Kanzlei Dr. Kroll & Partner in Reutlingen. 

Beispiel: Ein verwitweter Unternehmer hat eine Tochter und einen ungeliebten Sohn. Er überträgt 2 Jahre vor seinem Tod sein Haus im Wert von 1,2 Mio € an die Tochter, die er auch als Alleinerbin einsetzt. Der in Ungnade gefallene Sohn wird enterbt. Als der Unternehmer stirbt, hinterlässt er einen Nachlass im Wert von 120.000,00 €.

Würde lediglich der im Zeitpunkt des Todes vorhandene Nachlass bei der Pflichtteilsberechnung berücksichtigt, könnte der enterbte Sohn nur 30.000,00 € von seiner Schwester als Pflichtteil verlangen. Hier hilft der Pflichtteilsergänzungsanspruch weiter. Um die Höhe dieses Anspruchs zu ermitteln, wird das zu Lebzeiten des Erblassers verschenkte Vermögen zum vorhandenen Nachlass hinzuaddiert. Der so ermittelte „fiktive Nachlass“ ist dann die Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Anspruchs aus dem Erbe. Im Beispiel erhielte der enterbte Sohn dadurch weitere 300.000,00 € von seiner Schwester. 

Es spielt keine Rolle, ob man Mit- oder Alleinerbe geworden, durch Testament enterbt ist oder die Erbschaft ausgeschlagen hat, um einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen zu können. Das Pflichtteilsergänzungsrecht greift nur bei Schenkungen innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall. Bei einer Schenkung unter Ehegatten oder einem Nutzungsvorbehalt, wie etwa einem Nießbrauch oder Wohnungsrecht, läuft die 10-Jahres-Frist jedoch nicht an. In diesen Fällen können Pflichtteilsergänzungsansprüche sogar für länger als 10 Jahre zurückliegende Geschenke geltend gemacht werden.

Aber Achtung: der Anspruch muss selber geltend gemacht werden und wird nicht automatisch ausbezahlt. Auch das Nachlassgericht kümmert sich nicht darum. Drei Jahren nach dem Erbfall ist es dann zu spät, da der Anspruch nach dieser Zeit verjährt. Die Probleme sind vielschichtig, so dass die Einschaltung eines Erbrechtsexperten empfehlenswert ist.

Stand: Dezember 2007

Armin Abele

Armin Abele

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht