Bau- und Architektenrecht

Bauboom und Bauvertragsrecht – des einen Freud, des anderen Leid

- Daniel Krummacher

Im Jahr 2016 wurden in ganz Deutschland 277.700 Wohnungen fertiggestellt, über zwölf Prozent mehr als im Vorjahr und so viele wie seit 2004 nicht mehr. Folgerichtig konstatierte die Süddeutsche Zeitung (Artikel vom 23. Mai 2017) einen "ungebrochenen Bauboom in Deutschland". Bauträger und Immobilienmakler frohlocken, und Wirtschaftswissenschaftler prognostizieren, dass der Trend weiter anhält und auch in den kommenden Jahren fleißig gebaut wird. Allein für das Jahr 2018 erwartet das Münchener ifo-Institut die Fertigstellung von rund 285.000 Wohnungen.

Also alles wie gehabt? Mitnichten! Denn während auf deutschen Baustellen weiterhin sorgfältig Stein auf Stein gesetzt wird, bleibt im deutschen Baurecht kein Stein auf dem anderen. Ab 1. Januar 2018 gilt das neue Bauvertragsrecht, das Bundestag und Bundesrat in der ersten Jahreshälfte verabschiedet haben. Die Politik war – nicht zu Unrecht – der Auffassung, dass die gesetzlichen Regelungen die bauliche Realität nicht mehr abbilden können: Das BGB fasst sowohl eine Fahrzeugreparatur, als auch eine Dauerwelle, als auch ein Mehrfamilienhaus unter den Werkvertrag.

Dabei hat sich das Baurecht im Laufe der Jahrzehnte zu einer komplexen Spezialmaterie entwickelt. Die Baubranche behalf sich angesichts der spärlichen gesetzlichen Ausgangslage damit, die erforderliche bauliche Spezifizierung durch Verträge zu gewärtigten. In diese Vereinbarungen versuchte jeder Vertragspartner, die jeweils eigenen Allgemeinen Geschäftsbeziehungen (AGB) einzubeziehen, worauf sich der jeweils andere nicht immer einließ. Die Lösung – bei der öffentlichen Hand sogar verpflichtend – war die Einbeziehung der "Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen", kurz VOB/B. Dieses Klauselwerk wurde ursprünglich gemeinsam von der öffentlichen Hand und der Bauwirtschaft entwickelt, um Bauverträge so abzuwickeln, dass ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Bauherrn und denen des Bauunternehmers gelang. Für Verbraucher birgt sie zwar Risiken. Die zwischenzeitlich mehrfach überarbeitete VOB hat sich in der Praxis aber so sehr bewährt, dass der Gesetzgeber sie im Rahmen der AGB-Inhaltskontrolle sogar privilegiert behandelt (§ 310 Abs. 1 S. 3 BGB).

Die jetzige Reform knüpft gewissermaßen an die Entwicklung an. Das Bürgerliche Gesetzbuch wird zum kommenden Jahr signifikant überarbeitet. Vielerlei neue Vorschriften finden den Weg ins BGB, manche davon spürbar angelehnt an die VOB/B, zahlreiche bestehende Vorschriften werden abgeändert, Lücken im Verbraucherschutz werden geschlossen und mehrere neue Vertragstypen werden normiert. In das zweite Buch des BGB werden unter "Titel 9: Werkvertrag und ähnliche Verträge" jeweils eigene Kapitel bzw. Untertitel für den "Werkvertrag" (§ 631 BGB), den "Bauvertrag" (§ 650a BGB n.F.), den "Verbraucherbauvertrag" (§ 650i BGB n.F.), die "Architekten- und Ingenieurverträge" (§ 650p BGB n.F.) sowie den "Bauträgervertrag" (§ 650u BGB n.F.) aufgenommen. Flankierend wird die kaufrechtliche Mängelhaftung modifiziert, um Unternehmer, die mangelhaftes Baumaterial gekauft und verwendet haben, zu entlasten. Zudem wird das Gerichtsverfassungsgesetz angepasst: An allen Land- und Oberlandesgerichten sollen spezialisierte Baukammern eingeführt werden (§§ 72a, 119a GVG n.F.).

Bedeutender als die redaktionellen Änderungen sind indes die inhaltlichen Modifikationen. So ist etwa das von der Rechtsprechung entwickelte Kündigungsrecht aus wichtigem Grund zukünftig im Gesetz vorgesehen (§ 648a BGB n.F.) und tritt neben das weiterhin bestehende freie Kündigungsrecht des Auftraggebers (§ 649 BGB = § 648 BGB n.F.). Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann, das Vertragsverhältnis bis zur Fertigstellung des Werkes fortzusetzen. Der Gesetzgeber zielt hier maßgeblich auf die Insolvenz: Stellt der Bauunternehmer den Geschäftsbetrieb ein und erscheinen seine Arbeiter nicht mehr auf der Baustelle, kann der Auftraggeber wegen Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung aus wichtigem Grund kündigen. Das geht allerdings nur innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntnis des Kündigungsgrundes.

Ebenfalls neu für alle Werkverträge: Die sog. "fiktive" Abnahme der Werkleistungen (§ 640 Abs. 2 BGB n.F.). Die echte Abnahme ist die Pflicht des Bestellers, eine im Wesentlichen vertragsgerechte Leistung des Werkunternehmers, also eine Leistung mit allenfalls unwesentlichen Mängeln, zu akzeptieren und entgegenzunehmen. Die Konsequenzen der Abnahme sind weitreichend: Die Vergütung wird fällig, der Lauf der Verjährungsfrist der Gewährleistungsrechte beginnt, und die Gefahr der zufälligen Verschlechterung geht auf den Besteller über. Außerdem trägt nicht länger der Unternehmer, sondern der Besteller die Beweislast für einen Mangel. Wenn wesentliche Mängel vorliegen, kann der Besteller diese Konsequenzen aktuell dadurch vermeiden, dass er weder ausdrücklich, noch schlüssig eine Abnahme erklärt. Zukünftig muss er sich aktiv äußern und seinem Vertragspartner zumindest einen Mangel nennen, der der Abnahme entgegensteht. Ist der Besteller Verbraucher, muss ihn der Unternehmer darüber belehren (§ 640 Abs. 2 S. 2 BGB n.F.). Behauptet der Besteller einen Mangel, den der Unternehmer bestreitet, könnte die neue gemeinsame Zustandsfeststellung Abhilfe schaffen (§ 650g BGB n.F.). Fehlt der Besteller bei diesem Termin unentschuldigt, wird vermutet, dass der behauptete Mangel erst nach der Zustandsfeststellung entstanden ist – ein scharfes Schwert für den Unternehmer!

Wesentliches Merkmal des neuen "Bauvertrags" ist das sog. Anordnungsrecht des Bestellers (§ 650b BGB n.F.). Nach bisheriger Gesetzeslage müssen Vertragsänderungen, überdies während der Bauausführung, zwischen den Vertragsparteien übereinstimmend erfolgen; Ausnahmen davon erlaubt nur die VOB/B. Zukünftig kann der Bauherr einseitig Änderungen des vereinbarten Vertragserfolgs vornehmen (z.B. Holzdecken statt Tapete) oder Anordnungen zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs treffen (etwa ein planerisch unterdimensioniertes, aber technisch zwingend größer zu konfektionierendes Blockheizkraftwerk). Voraussetzung dafür ist der fruchtlose Ablauf einer Frist zur einvernehmlichen Einigung und eine Anordnung in Textform (z.B. E-Mail). Der Unternehmer seinerseits kann ggf. eine angepasste Vergütung verlangen, auch für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn – und davon bis zu 80% als Abschlagszahlung. Die Vergütung ist nach § 650g Abs. 4 BGB n.F. jedoch erst fällig, wenn neben der Abnahme bzw. ihrer Entbehrlichkeit eine prüffähige, d.h. übersichtliche und für den Besteller nachvollziehbare Schlussrechnung vorliegt – auch dies eine Anleihe bei der VOB/B.

Das Verbraucherbaurecht hält warnende Formvorschriften, ein Widerrufsrecht und ein Recht auf eine Baubeschreibung vor (§§ 650i – 650o BGB n.F.). Der "Bauträgervertrag" (§ 650u BGB n.F.) beendet nur scheinbar die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen werk- und kaufvertraglichen Elementen. Im Architekten- und Ingenieurrecht gibt es mit der "Projektfindung" eine weitere Leistungsphase. Mehr Freude haben die Architekten wohl am neuen § 650t BGB: Demnach muss der Bauherr bei überwachungsfehlerbedingten Baumängeln zuerst dem Bauunternehmer erfolglos eine Frist zur Nachbesserung setzen, bevor er den Architekten in Anspruch nimmt. Bislang konnte er sich direkt an den Architekten halten. "Not amused" dürften indes die Gerichte sein: Der neue § 650d BGB senkt die Anforderungen an Einstweilige Verfügungen in Bausachen – als ob die Justiz bei fast 300.000 Neubauwohnungen pro Jahr nicht schon genug Baumängel verhandeln müsste. Bauboom und neues Bauvertragsrecht – des einen Freud, des anderen Leid!

Daniel Krummacher

Daniel Krummacher

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Verwaltungsrecht