Steuerrecht

Das Reverse-Charge-Verfahren bei Bauleistungen – Irrtümer und Lösungsansätze

- Ellen Steinacker

1. Der Normalfall

Die Umsatzsteuer ist eine sog. Verbrauchsteuer, weil sie den Endverbraucher von Gütern und Leistungen belasten soll, während sie die Unternehmer in der Wertschöpfungskette faktisch als „durchlaufender Posten“ führen. Im Rechts- u. Geschäftsverkehr zwischen zwei Unternehmern im Sinne des Umsatzsteuergesetzes muss zwischen der Umsatzsteuer und Vorsteuer unterschieden werden.

Das leistende oder liefernde Unternehmen (= Leistender) stellt für eine umsatzsteuerbare Lieferung oder Leistung dem Unternehmen, das die Lieferung oder Leistung erhält (= Leistungsempfänger), eine nach § 14 UStG ordnungsgemäße Rechnung. Diese Rechnung enthält neben anderen Angaben (Name, Anschrift, USt-IdNr., Rechnungsnummer etc.) auch den Steuersatz und den Steuerbetrag der Umsatzsteuer.

Der Leistende hat die berechnete Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen (§ 13 UStG), da die Umsatzsteuer für ihn eine Verbindlichkeit gegenüber dem Finanzamt darstellt. Regelmäßig hat der Leistende hierzu bis zum 10. Tag nach Ablauf jedes Voranmeldezeitraums (Jahr, Kalendervierteljahr oder Kalendermonat) seine Umsatzsteuervoranmeldung (Vorauszahlung) an das Finanzamt zu übermitteln.

Auf Seiten des Leistungsempfängers stellt die an den Leistenden gezahlte Umsatzsteuer hingegen eine Forderung gegen das Finanzamt dar (= Vorsteuer). Der Leistungsempfänger kann den sog. Vorsteuerabzug geltend machen, sofern ihm eine nach § 14 UStG ordnungsgemäß erstellte Rechnung vorliegt.

2. Darstellung des Reverse-Charge-Verfahrens

Das Umsatzsteuergesetz sieht in § 13b UStG nun aber Fälle vor, in denen nicht der Leistende, sondern der Leistungsempfänger dem Finanzamt die Umsatzsteuer schuldet (Umkehr der Steuerschuldnerschaft). Ein Fall des Reverse-Charge-Verfahrens ist z.B. eine in Deutschland ausgeführte Werklieferung eines Unternehmers, der im Ausland ansässig ist. Zweck des Reverse-Charge-Verfahrens ist die Vermeidung von Betrugsfällen.

Ein häufiger Fehler ist die Einordnung der innergemeinschaftlichen Lieferung: Die innergemeinschaftliche Lieferung ist bereits nach § 4 Nr. 1 b) UStG steuerfrei. Der innergemeinschaftliche Erwerb ist dann der steuerbare Umsatz (§§ 1 Abs. 1 Nr. 5, 1a UStG). Das Reverse-Charge-Verfahren findet daher bei der innergemeinschaftlichen Lieferung keine Anwendung.

In Fällen des Reverse-Charge-Verfahren hat der Leistende gem. § 14a Abs. 5 UStG auf der Rechnung die Angabe „Steuerschuldnerschaft beim Leistungsempfänger“ zu vermerken. Es ist korrekterweise eine Netto-Rechnung zu erstellen.

3. Das Reverse-Charge-Verfahren bei Bauleistungen

Wichtiger Anwendungsbereich des Reverse-Charge-Verfahrens sind Bauleistungen, einschließlich Werkleistungen und sonstige Leistungen im Zusammenhang mit Grundstücken, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen (§ 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG).

Der Empfänger einer Bauleistung ist Steuerschuldner, sofern er ein Unternehmer ist, der nachhaltig entsprechende Bauleistungen erbringt und unabhängig davon, ob er die empfangene Leistung für eine von ihm erbrachte Bauleistung verwendet (§ 13b Abs. 5 Satz 2 UStG). Es wird vermutet, dass der Leistungsempfänger nachhaltige Bauleistungen erbringt, wenn das Finanzamt ihm eine entsprechende befristete Bescheinigung erteilt hat. Nachhaltig bedeutet, dass der Unternehmer mindestens 10 % seines Weltumsatzes (Summe seiner im Inland steuerbaren und nicht steuerbaren Umsätze) als Bauleistungen erbringt (UStAE 13b.3 Abs. 2 S. 1).

Wer ausschließlich als Bauträger tätig ist, ist kein Steuerschuldner im Sinne von § 13b Abs. 2 Nr. 4, Abs. 5 UStG (BFH, Urteil vom 22. 8. 2013 - V R 37/10). Ein Bauträger bebaut ein eigenes Grundstück und veräußert dieses, erbringt aber keine Bauleistungen. Führt ein Unternehmer sowohl Bauleistungen als auch Bauträger-Tätigkeiten aus, gelten die allgemeinen Grundsätze, so dass im Falle von nachhaltigen Bauleistungen § 13b UStG greift (UStAE 13b.3 Abs. 8 Satz 3).

4. Problemfälle und Lösungsansätze

Das Reverse-Charge-Verfahren bei Bauleistungen birgt für Steuerpflichtige in der Bauwirtschaft seit jeher rechtliche Risiken. Bis zur Gesetzesänderung vom 1. Oktober 2014 vertrat der Bundesfinanzhof eine bauwerksbezogene Betrachtungsweise (Bauleistung musste für eine eigene Bauleistung verwendet werden). Dem stellte sich der Gesetzgeber entgegen und änderte das Gesetz in die noch heute geltende Fassung. Für Bauleistungen bis zum 14. Februar 2014 gelten aber Übergangsvorschriften, so dass insbesondere im Jahr 2014 erbrachte Bauleistungen bei den Steuerpflichtigen erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der rechtlich zutreffenden Handhabdung auslösten und nicht selten vor Gericht endeten.

Aber auch in aktuellen Fällen sind sich die Beteiligten oftmals nicht sicher, wer Steuerschuldner ist und wie Fälle gehandhabt werden müssen, in denen sich die Beteiligten geirrt haben.

a) Irrtum 1: Steuerschuldnerschaft beim Leistenden

Nicht selten gehen die Beteiligten davon aus, dass der Leistende Steuerschuldner ist, weil man z.B. § 13b UStG schlicht nicht beachtet hat, oder die Nachhaltigkeit der Bauleistungen des Leistungsempfängers unzutreffend verneint wurde.

Der Leistende stellt sodann eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis aus und führt die Umsatzsteuer selbst an das Finanzamt ab. Der Leistungsempfänger zahlt die Rechnung samt Umsatzsteuer und macht den Vorsteuerabzug beim Finanzamt geltend. Meist kommt dann aber im Rahmen einer Betriebsprüfung bei einem der Beteiligten ans Licht, dass nicht der Leistende, sondern der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet, weil auch dieser nachhaltig Bauleistungen erbringt. Der Leistende verlangt sodann vom Finanzamt die Rückerstattung der gezahlten Umsatzsteuer. Das Finanzamt verlangt wiederum vom Leistungsempfänger die Abführung der Umsatzsteuer.

Die Lösung:

Der Leistungsempfänger hat gegen den Leistenden einen Anspruch auf

  • Erstattung der an den Leistenden gezahlten Umsatzsteuerbeträge und
  • Korrektur der unrichtigen Rechnungen gem. § 14 Abs. 2 UStG in Verbindung mit dem geschlossenen Werkvertrag, ansonsten liegt keine wirksame Berichtigung vor.

Zunächst hat der Leistende die vom Leistungsempfänger gezahlten Umsatzsteuerbeträge zurückzuerstatten, ansonsten liegt keine wirksame Berichtigung eines Steuerbetrages nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG vor (BFH, Urt. v. 16.05.2018 – XI R 28/16), weil eine Erstattung ohne Rückzahlung zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des leistenden Unternehmens führen würde. Eine Rückerstattung kann aber nicht nur durch eine Zahlung erfolgen, sondern nach der Rechtsprechung ferner durch Abtretung des Anspruchs des Leistenden gegen das Finanzamt an den Leistungsempfänger. Mit anderen Worten: Der Leistende hat gegen das Finanzamt einen Anspruch auf Rückerstattung der abgeführten Umsatzsteuer. Diesen Anspruch kann der Leistende an den Leistungsempfänger abtreten. Der Leistungsempfänger nimmt die Abtretung an und kann sodann gegenüber dem Finanzamt die Aufrechnung mit der Umsatzsteuerverbindlichkeit erklären.

Die Korrektur der unrichtigen Rechnungen ist erforderlich, damit die Berichtigung des Steuerbetrages gegenüber dem Finanzamt erfolgen kann. Die Korrektur kann durch eine hinreichend bestimmte, schriftliche Berichtigung, die zur Klarstellung und im Hinblick auf § 31 Abs. 5 UStDV als berichtigte Rechnung gekennzeichnet sein sollte, und die eindeutig auf die ursprünglich erteilte Rechnung Bezug nimmt, erfolgen. Es muss eindeutig hervorgehen, dass ohne Umsatzsteuer abgerechnet werden soll. Die Rechtsprechung hat bislang nicht verlangt, dass die Erstrechnung zurückverlangt werden muss.

Die Korrektur kann nach der Rechtsprechung auch gem. § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG in der Abtretungserklärung des Leistenden liegen, wenn die dem Leistungsempfänger zugegangene Abtretungserklärung spezifisch und eindeutig auf eine oder mehrere ursprüngliche Rechnung(en) bezogen ist und aus ihr klar hervorgeht, dass der leistende Unternehmer über seine Leistungen nunmehr nur noch ohne Umsatzsteuer abrechnen will (BFH, Urt. v. 12.10.2016 – XI R 43/14). Der Leistende schuldet nach § 14c Abs. 1 UStG die Umsatzsteuer solange, bis er die Rechnungen korrigiert hat (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2016 – XI R 43/14). Der Leistungsempfänger sollte abschließend daran denken, dass er einen Antrag auf Erlass der Nachzahlungszinsen stellt, da die Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind, wenn das Finanzamt die für die Leistung geschuldete Steuer vom vermeintlichen statt vom wirklichen Steuerschuldner vereinnahmt hatte, der Leistende seine Rechnungen mit Steuerausweis berichtigt und den sich hieraus ergebenden Vergütungsanspruch an den Leistungsempfänger abtritt (BFH, Urt. v. 26.09.2019 – V R 13/18).

b) Irrtum 2: Steuerschuldnerschaft beim Leistungsempfänger

Spiegelbildlich kommt es auch vor, dass die Beteiligten unzutreffend davon ausgehen, dass der Leistungsempfänger, z.B. ein Bauträger, Steuerschuldner sei. Dann stellt der Leistende eine Netto-Rechnung mit der Angabe „Steuerschuldnerschaft beim Leistungsempfänger“ aus. Der Leistungsempfänger zahlt die Rechnung und führt die Umsatzsteuer an das Finanzamt ab, kann aber gleichzeitig den Steuerbetrag im Rahmen des Vorsteuerabzugs wiederum geltend machen.

Die Lösung:

Der Leistungsempfänger kann im Rahmen eines Einspruchs oder nach Ablauf der Einspruchsfrist auf der Grundlage einer verfahrensrechtlichen Korrekturvorschrift die Änderung des Steuerbescheides verlangen. Die Rechtsprechung vertritt die Auffassung, dass es nicht darauf ankommt, dass er einen gegen ihn gerichteten Nachforderungsanspruch des Leistenden erfüllt oder die Möglichkeit für eine Aufrechnung durch das Finanzamt besteht (BFH, Urt. v. 27.9.2018 – V R 49/17).

Der Leistende wurde seinerseits nicht von seiner Steuerschuld befreit, so dass das Finanzamt z.B. nach § 164 AO oder nach § 274 Abs. 3 AO den Bescheid gegenüber dem Leistenden ändern und die Umsatzsteuerschuld verlangen kann.

Zu beachten ist aber die Vereinfachungsregelung des § 13b Abs. 5 Satz 8 UStG. Sind Leistungsempfänger und Leistender in Zweifelsfällen übereinstimmend vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG ausgegangen, obwohl dies nach Art der Umsätze unter Anlegung objektiver Kriterien nicht zutreffend war, gilt der Leistungsempfänger dennoch als Steuerschuldner, sofern dadurch keine Steuerausfälle entstehen. Die Regelung soll bei schwierigen Einordnungsfällen helfen, so dass die Beteiligten dann bestenfalls eine schriftliche Vereinbarung über die Steuerschuldnerschaft treffen.

c) Irrtum 3: Die Bedeutung der Bescheinigung nach § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG

Die Bescheinigung gem. § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG wird dem Leistungsempfänger von Amts wegen oder auf Antrag ausgestellt. Sie ist auf einen Zeitraum von maximal drei Jahren zu befristen. Die Bescheinigung kann nur mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen oder widerrufen werden.

Die Bescheinigung stellte einen Verwaltungsakt, aber kein Steuerbescheid dar. Sie regelt die Besteuerungsgrundlage zur Begründung der Steuerpflicht des Leistungsempfängers.

Wurde dem Leistungsempfänger eine Bescheinigung nach § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG ausgestellt, ist der Leistungsempfänger aufgrund der Bescheinigung Steuerschuldner, unabhängig von den tatsächlichen Umständen. Daher muss sich der Leistungsempfänger, der der Meinung ist, dass er die Umsatzsteuer nicht schuldet, gegen die Bescheinigung wehren.

Das Reverse-Charge-Verfahren bei Bauleistungen ist für die Beteiligten mit Risiken behaftet. In der Praxis entsteht oftmals zusätzlich zu den nicht ganz einfachen gesetzlichen Regelungen Uneinigkeit zwischen Leistendem, Leistungsempfänger und Finanzamt über die Lösung von unzutreffenden Besteuerungen, so dass im Einzelfall die Einschaltung eines Anwalts geboten sein kann.

Ellen Steinacker (LL.M.)

Ellen Steinacker (LL.M.)

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwältin für Steuerrecht
Betriebliche Datenschutzbeauftragte (IHK)