Arbeitsrecht

Die Kündigung und gleichzeitige Vorlage einer (Folge-) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann den Beweiswert der Bescheinigung erschüttern

- Irma Benzing

Nachdem das Bundesarbeitsgericht bereits mit seinem Urteil vom 8. September 2021 (BAG, 5 AZR 149/21) den Beweiswert einer zur Kündigungsfrist „passgenauen“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert sah, entwickelte das BAG seine Rechtsprechung mit einem aktuellen Urteil vom 13. Dezember 2023 (BAG 5 AZR 137/23) weiter. Auch in diesem Fall standen die attestierte Arbeitsunfähigkeit und der Zugang der Kündigung in einem engen zeitlichen Zusammenhang. Während es sich bei der Entscheidung vom September 2021 um eine Eigenkündigung und die zeitgleiche Vorlage der Erstbescheinigung handelte, bestand in der aktuellen Entscheidung eine attestierte Arbeitsunfähigkeit noch vor Zugang der vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung, für welche das Bundesarbeitsgericht den Beweis mit Vorlage der Erstbescheinigung als erbracht ansah. Das Bundesarbeitsgericht sah jedoch aufgrund der Gesamtumstände den Beweiswert der nach Zugang der Kündigung ausgestellten Folgebescheinigungen als erschüttert an.

Der Fall:

Die Parteien streiten vor Gericht über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Kläger reichte für die Zeit vom 02.05.2022 bis 06.05.2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 02.02.2022 zum 31.05.2023. Die Kündigung ging dem Kläger am 03.05.2022 zu. Daraufhin legte der Kläger zwei Folgebescheinigungen vor, welche eine Arbeitsunfähigkeit bis 20. und bis 31.05.2022 attestieren. Ab dem 01.06.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte weigerte sich daraufhin, dem Kläger für den Zeitraum 01.05.2022 bis 31.05.2022 das Entgelt fortzuzahlen mit der Begründung, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei. Die Vorinstanzen gaben der Klage des Arbeitnehmers statt.

Entscheidung:

Die Revision der Beklagten hatte bezogen auf den Zeitraum 07.05.-31.05.2022 Erfolg. Für diesen Zeitraum sah das Bundesarbeitsgericht den Beweiswert der (Folge-)Bescheinigungen als erschüttert an.

Grundsätzlich trägt ein Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Entgeltfortzahlungsanspruchs. Der Tatrichter kann den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt. Der Arbeitgeber könne den Beweiswert aber erschüttern, indem er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt.

Für den Zeitraum vom 02.05.2022 bis 06.05.2022 sah das Gericht den Beweiswert als nicht erschüttert an, denn der Kläger habe von der Kündigung Kenntnis erst nach dem 02.05.2022 erlangt. Für den Zeitraum 07.05. bis 31.05.2022 sah das Bundesarbeitsgericht den Beweiswert jedoch als erschüttert an, da der Kläger nach Zugang der Kündigung eine bzw. mehrere Folgenescheinigungen vorgelegt habe, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassten und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen habe. Diese Umstände führen zu ernsten Zweifeln an dem Vorliegen einer Erkrankung, sodass der Kläger die Arbeitsunfähigkeit nicht mehr mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beweisen kann, sondern sich nun anderer Beweismittel bedienen muss.

Fazit:

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist aus Sicht der Arbeitgeber zu begrüßen, da diese in der Regel kaum Möglichkeiten haben, das Vorliegen einer attestierten Arbeitsunfähigkeit zu widerlegen. Die Erschütterung des Beweiswertes bedeutet jedoch nicht, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht besteht. Vielmehr müssen Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kein Beweiswert zukommt, darlegen und beweisen, dass eine Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorlag. Arbeitnehmer müssen sich in diesem Fall zu Art und Verlauf der Erkrankung erklären und das Vorliegen einer Erkrankung auch beweisen, etwa durch Zeugnis des behandelnden Arztes, welchen sie i. d. R. von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden müssen.

Irma Benzing

Irma Benzing

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht