Erbrecht

(K)ein Erbe ohne Erbschein?

- Paul Knorr

Ein wichtiges Dokument für jeden Erben ist der Erbschein, der durch das Nachlassgericht ausgestellt wird und welchem zu entnehmen ist, wer offiziellen Nachfolger des Erblassers, der Erbe, wurde.

Ist man also erst mit der offiziellen Bescheinigung durch das Nachlassgericht, dem Erbschein, Rechtsnachfolger des Erblassers?

Nein! Die Antwort gibt das Gesetz in § 1922 Abs. 1 BGB: „Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere Personen (Erben) über.“ Das Gesetz geht von der sogenannten Universalsukzession aus: Der oder die Erben werden in der Sekunde des Todes Rechtsnachfolger des Erblassers. Der gesamte „Vermögenstopf“ des Erblassers, Eigentumsanteile, Forderungen, bewegliche Sachen aber auch Verbindlichkeiten, geht als Ganzes direkt und ohne Zutun des Erben auf diesen über. Ein Erbschein wird hierfür nicht benötigt, lediglich eine Annahme der Erbschaft, die das Gesetz jedoch vermutet.

Ist der Erbschein also funktionslos?

Im Gegenteil. Der Erbschein ist ein zentrales Dokument für den oder die Erben. Er ist ein amtliches Zeugnis des Nachlassgerichts das für den Rechtsverkehr die Person des oder der Erben und die jeweiligen Erbquoten festhält. Zwar ist dieser Nachweis grundsätzlich nicht erforderlich – das Gesetz fordert von dem Erben wie gezeigt keinen Nachweis -, trotzdem verlassen sich Dritte oftmals nicht auf die bloße Zusage, dass die Erbenstellung besteht. Und das ggf. zurecht:

Verkauft der vermeintliche Erbe E ein Fahrzeug des Erblassers an den Käufer K und steht in dem Fahrzeugbrief noch der Erblasser, kann sich Käufer K nicht im Nachhinein auf seinen „guten Glauben“ berufen, sollte E doch nicht Erbe geworden sein. Denn der Besitz des Erblassers geht nach § 857 BGB in der Sekunde des Todes auf den (wahren) Erben über, weshalb der Käufer K gemäß § 935 BGB nicht gutgläubig erwerben kann. Der wahre Erbe kann das Fahrzeug also zurückverlangen.

Legt der Erbe E in dem beschriebenen Beispiel jedoch einen Erbschein vor, der ihn als Erben ausweist, kann sich der Käufer K auf seinen guten Glauben berufen. Denn nach § 2366 BGB gilt der Inhalt des Erbscheins für den Rechtsverkehr als richtig. Der Erbschein entfaltet einen sogenannten „öffentlichen Glauben“. Der Erbschein bietet somit einen hohen Verkehrsschutz, der nur dann nicht gilt, wenn der Vertragspartner die Unrichtigkeit kannte.

Gibt es auch Fälle, in denen ich zwingend einen Erbschein benötige?

Ja, diese Fälle gibt es: Befinden sich im Nachlass Immobilien und existiert kein notarielles Testament, dann benötigen die Erben zwingend einen Erbschein. Andernfalls können Änderungen im Grundbuch nicht vorgenommen werden, da es hierfür einer öffentlichen Urkunde bedarf.

Auch Banken fordern in ihren AGB zumeist die Vorlage eines Erbscheins, wenn der Erbe Auskünfte über Konten einholen, oder Verfügungen treffen möchte. Zwar stellte der Bundesgerichtshof bereits klar, dass der Erbe zur Vorlage nicht verpflichtet ist, wenn er sein Erbe durch ein vom Nachlassgericht eröffnetes Testament nachweisen kann. Die Praxis bleibt aber oft hinter dieser eindeutigen Rechtsprechung zurück.

Ist mit dem ausgestellten Erbschein also die Erbfolge bindend geregelt?

Trotz der starken Funktion des Erbscheins für den Rechtsverkehr stellt die Urkunde keine Bindungswirkung her. Die Parteien des Erbscheinverfahrens, in der Regel die Erben, sind an die Feststellungen nicht gebunden. Den Beteiligten steht vor und nach Erteilung eines Erbscheins der Weg zu den Zivilgerichten offen. Anders als das Erbscheinverfahren stellt eine Klage vor den Zivilgerichten ein sogenanntes streitiges Verfahren dar, welches eine Bindungswirkung entfaltet.

Das Erbscheinverfahren ist regelmäßig der billigere und schnellere Weg, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Dabei hat das nachlassgerichtliche Verfahren den Vorteil, dass die entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln (Amtsermittlungsgrundsatz). Oft sorgt die Entscheidung im Erbscheinverfahren auch dafür, dass der Streit über das Erbrecht beigelegt wird.

Unser Fazit:

Der Erbschein stellt keine Voraussetzung dar, dass die Erbschaft „wirksam wird“. Der Erbe wird von Gesetzeswegen Nachfolger in der Sekunde des Todes. Der Erbschein bietet jedoch eine öffentlich beglaubigte Legitimationsfunktion und erleichtert den Rechtsverkehr. Für Grundstücksgeschäfte und für die Kommunikation der Banken ist der Erbschein unabdingbar.

Vielfach hilft der Erbschein auch, die Streitigkeiten über Erbquoten zu beseitigen und dient damit einer Beschleunigung der Erbauseinandersetzung. Ob die Erteilung eines Erbscheins notwendig und/oder vorteilhaft ist, kann nicht pauschal beantwortet werden und muss individuell geprüft werden. Gerne unterstützen wir Sie unkompliziert und schnell in einer ersten Beratung und auch auf einem möglichen weiteren Weg, damit Sie zu Ihrer rechtmäßigen Legitimationsurkunde gelangen.

Paul Knorr

Paul Knorr

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht