Arbeitsrecht

Abstrakter Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglichen und gesetzlichen Kündigungsfristen

- Dr. Stefan Rein

Sofern im Arbeitsvertrag eine andere als die gesetzlich vorgesehene Kündigungsfrist vereinbart ist, stellt sich die Frage, auf welche im Kündigungsfall abzustellen ist. Das sog. Günstigkeitsprinzip lässt bekanntlich Abweichungen von gesetzlichen Vorgaben zu, soweit die Abweichungen für den Arbeitnehmer günstiger sind. Bezogen auf die Vereinbarung von Kündigungsfristen ist dieses allgemeine arbeitsrechtliche Prinzip auch ausdrücklich im Gesetz verankert: Einzelvertraglich dürfen längere als die im Gesetz genannten Kündigungsfristen vereinbart werden (§ 622 Abs. 5 Satz 3 BGB). Doch auf welchen Zeitpunkt ist für den vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich abzustellen? Ist der des konkreten Kündigungsausspruches maßgeblich oder hat er bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu erfolgen?

Abstrakter oder konkreter Günstigkeitsvergleich?

Die einfachere Lösung ist (leider) die unzutreffende. Es wäre unzutreffend, im jeweiligen Kündigungszeitpunkt zu prüfen, ob in diesem Zeitpunkt die gesetzliche oder die einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist die für den zu kündigenden Arbeitnehmer günstigere Kündigungsfrist darstellt. Will man beispielsweise am 29. Juni eine Kündigung aussprechen und sieht dabei die „Vertragslösung“ eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende und – bei einer mindestens fünfjährigen Betriebszugehörigkeit des zu kündigenden Arbeitnehmers – die „Gesetzeslösung“ eine Frist von zwei Monaten zum Monatsende vor, wäre zweifelsohne erstere die günstigere für den Arbeitnehmer, denn nach ihr könnte das Arbeitsverhältnis frühestens zum 30. September beendet werden. Das Bundesarbeitsgericht spricht sich in seinem Urteil vom 29. Januar 2015 (2 AZR 280/14) jedoch für einen Günstigkeitsvergleich im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bzw. angesichts der gesetzlichen Staffelungen in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB für den Zeitpunkt des „Eintritts des Arbeitnehmers in die jeweilige Stufe des § 622 Abs. 2 BGB“ aus. Im Beispielsfall wäre damit die gesetzliche Regelung die günstigere, obwohl sie bereits eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. August zuließe. Die Begründung hierfür ist, dass die vertraglich vereinbarten Kündigungsfristen durchweg länger als die gesetzlichen Kündigungsfristen zu sein haben, um von ihnen abweichen zu dürfen, was mit einer kürzeren Kündigungsfrist als der gesetzlichen trotz gleichzeitiger Einschränkung der Kündigungstermine (von zwölf auf vier pro Kalenderjahr) aber freilich niemals erreicht werden kann.

Der im Kündigungsschreiben falsch mitgeteilte Kündigungstermin

Wird im Kündigungsschreiben auf einen unzutreffenden, nämlich zu frühen Kündigungstermin abgestellt, stellt sich die Frage, ob die Kündigungserklärung dadurch insgesamt unwirksam wird oder ob sie in eine Kündigungserklärung zum zutreffenden Kündigungstermin umgedeutet werden darf. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts soll die Überzeugung des Arbeitgebers, er habe mit zutreffender Frist gekündigt, nicht daran hindern, anzunehmen, er hätte bei Kenntnis der objektiven Fehlerhaftigkeit der seiner Kündigung beigelegten Frist das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen, sondern zum nächstzulässigen Termin beenden wollen. Eine Umdeutung wäre damit möglich, sofern es eben keinen Anhalt dafür gibt, dass der Arbeitgeber eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich zu dem von ihm benannten Termin gewollt hätte.

Im umgekehrten Fall – wie in obigem Beispielsfall – wird hieraus eine reine Auslegungsfrage: Sollte wiederum allein zu dem genannten Termin (30. September) oder eben zum nächstmöglichen Termin (30. August) gekündigt werden? Eine diese Problematik berücksichtigende Formulierung des Kündigungsschreibens kann dann – im Ergebnis gewiss nur, sofern der Fehler überhaupt bemerkt wird – noch zu einer früheren Beendigung des Arbeitsverhältnisses und einer dementsprechenden Vergütungseinsparung führen.

Dr. Stefan Rein

Dr. Stefan Rein

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht