Arbeitsrecht

Aktuelles zum Urlaubsrecht

- Achim Wurster

Kaum ein Bereich des Arbeitsrechts hat in den letzten Jahren so viele Anpassungen erfahren als das Urlaubsrecht. Hintergrund ist, dass der EuGH zahlreiche Entscheidungen gefällt hat, die dazu führten, dass die teilweise jahrzehntelange gültige Rechtslage in Deutschland sich grundlegend geändert hat. Dieser Beitrag soll einen Überblick über die wichtigsten Änderungen geben und aufzeigen, wo für Unternehmen Handlungsbedarf besteht.

I. Urlaub bei Krankheit

1. Schultz-Hoff-Urteil des EuGH

Nach dem BUrlG und der Rechtsprechung des BAG verfielen Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers zum Jahresende auch dann, wenn er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte. Gleiches galt, wenn das Arbeitsverhältnis endete und der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis wegen einer Erkrankung keinen Urlaub mehr nehmen konnte. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG konnte in diesen Fällen bereits kein Urlaubsabgeltungsanspruch entstehen.

Der EuGH hat in seiner wegweisenden Entscheidung in der Sache Schultz-Hoff klargestellt, dass der vierwöchige Mindesturlaub aus der Urlaubsrichtlinie ein Grundrecht darstellt und dass Arbeitnehmer diesen Urlaubsanspruch erwerben, auch wenn sie im Urlaubsjahr arbeitsunfähig krank sind. Der EuGH urteilte daher, dass der Arbeitgeber im dortigen Fall dem wegen Krankheit ausgeschiedenen Arbeitnehmer Urlaubsabgeltung bezahlen musste. Die entgegenstehenden gesetzlichen Regelungen in § 7 BUrlG und die dazu ergangene Rechtsprechung verstoßen nach dem EuGH gegen europäisches Recht und dürfen daher nicht mehr angewendet werden.

2. Entwicklung in Deutschland

Dieses Urteil nahm das BAG in den Folgejahren zum Anlass, zahlreiche Entscheidungen zu treffen und das Urlaubsrecht auf eine neue Grundlage zu stellen.

a) Übertragung auf den vertraglichen Mehrurlaub

Das BAG urteilte zum Beispiel, dass Arbeitgeber nicht nur den gesetzlichen Mindesturlaub (20 Tage bei Fünf-Tage-Woche) abgelten müssen, sondern auch einen darüber hinaus gehenden Zusatzurlaub, soweit der Arbeitsvertrag keine klare und hinreichende Differenzierung enthält. Bei der üblichen Standardklausel „Der Arbeitnehmer erhält 30 Arbeitstage Urlaub“ müssen Arbeitgeber also auch die über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubstage bei der Abgeltung berücksichtigen.

Um dies zu verhindern, sollten die Arbeitsverträge eine klare Differenzierung zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglichem Zusatzurlaub vorsehen.

b) Aufgabe der Surrogatstheorie – Vererbbarkeit von Urlaubsansprüchen

Das BAG hat in seiner Rechtsprechung die sog. Surrogatstheorie entwickelt. Danach ist der Anspruch auf Urlaubsabgeltung das Surrogat des Urlaubsanspruchs. Dies bedeutet, dass ein Abgeltungsanspruch immer nur dann besteht, wenn zuvor auch ein Urlaubsanspruch bestanden hat. Diese Rechtsprechung hat das BAG im Zusammenhang mit dem Schultz-Hoff-Urteil ausdrücklich aufgegeben und sieht den Abgeltungsanspruch nun als reinen Geldanspruch an. Dies hat diverse Folgen, weshalb zum Beispiel nun Ansprüche auf Urlaubsabgeltung vererbbar sind.

An sich endet das Arbeitsverhältnis mit dem Tod des Arbeitnehmers. Dabei gingen nach früherer Rechtsprechung evtl. noch bestehende Urlaubsansprüche unter, so dass bereits begrifflich kein Abgeltungsanspruch entstehen konnte. Sogar in Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis vor dem Tod des Arbeitnehmers endete, sollte der Abgeltungsanspruch nicht vererbbar sein.

Letzteres hat sich durch die Aufgabe der Surrogatstheorie geändert: da es sich beim Abgeltungsanspruch nunmehr nur noch um einen reinen Geldanspruch handelt, ist dieser auch vererbbar, so dass die Hinterbliebenen des Arbeitnehmers diesen Anspruch weiterverfolgen können.

Nach erneuter Intervention durch den EuGH hat das BAG Anfang 2019 zudem entschieden, dass auch der nicht genommene Urlaub des verstorbenen Arbeitnehmers abzugelten ist und dieser Anspruch vererbbar ist. Somit müssen also Arbeitgeber künftig beim Tod des Arbeitnehmers damit rechnen, dass die Hinterbliebenen Abgeltungsansprüche geltend machen können.

II. Urlaub in der Elternzeit

Auch bei der Elternzeit müssen Arbeitgeber aufpassen. Gem. § 17 BEEG darf der Arbeitgeber den Urlaub für jeden Kalendermonat der Elternzeit um 1/12 kürzen. Das BAG hat aber hierzu entschieden, dass Arbeitgeber die Kürzung nur vor, während und nach der Elternzeit zulässig vornehmen können, aber nicht mehr, wenn das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist. Die nachträgliche Kürzung ist daher unzulässig. Arbeitgeber sind daher gut beraten, die Kürzung bereits bei der Bestätigung der Elternzeit dem Arbeitnehmer mitzuteilen und zu dokumentieren.

Immerhin hat der EuGH diese Kürzungsbefugnis als mit Europarecht vereinbar angesehen.

III. Verfall von Urlaub nur nach vorherigem Hinweis

Nach deutschem Recht verfällt Urlaub zum Ende des Jahres, spätestens aber zum 31.3. des Folgejahres, verfiel, wenn er bis dahin nicht genommen wurde. Das deutsche Recht sieht also vor, dass die Arbeitnehmer sich aktiv um ihren Urlaub kümmern müssen, der Arbeitgeber hat lediglich ein Recht, Urlaub festzulegen, aber keine Pflicht.

Diese Praxis hat der EuGH bezogen auf den gesetzlichen Mindesturlaub als mit den Grundgedanken des europäischen Urlaubsrechts nicht vereinbar angesehen. Bezahlter Erholungsurlaub sei ein zentrales Recht der Arbeitnehmer, das sogar in der Europäischen Grundrechtecharta aufgenommen ist. Diesen Anspruch muss der Arbeitgeber durch bezahlte Freizeit von der Arbeit gewähren. Es ist nach dem EuGH insbesondere kein Antrag des Arbeitnehmers erforderlich. Es muss nur ein Arbeitsverhältnis bestehen.

Aufgrund der unterlegenen Position des Arbeitnehmers kommt nach EuGH ein Verlust des Urlaubs nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer aus freien Stücken und bei voller Kenntnis der Konsequenzen auf die Ausübung seines Rechts auf Urlaub verzichtet habe. Das heißt also, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret und „in völliger Transparenz“ dazu auffordert, Urlaub zu nehmen und auf die Folgen nicht genommenen Urlaubs (Verfall) hinzuweisen.

Damit verfällt der gesetzliche Mindesturlaub nicht (mehr), wenn weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber aktiv werden. Offensichtlich scheint der EuGH Arbeitnehmer als per se unfähig anzusehen, ihre Ansprüche zu artikulieren. Arbeitgeber sind daher gut beraten, rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres die Arbeitnehmer einzeln zu informieren, dass sie ihren Urlaub noch in diesem Jahr nehmen müssen, weil er ansonsten verfällt. Damit einher geht ein enormer Verwaltungsaufwand mit entsprechender Kostenbelastung. Noch teurer wird es aber, wenn Arbeitgeber nichts unternehmen.

IV. Fazit

Das Urlaubsrecht befindet sich im Umbruch. Der EuGH urteilt hier sehr arbeitnehmerfreundlich und bezieht sich oftmals auf die Grundrechtscharta der EU, aus der sich das Grundrecht auf bezahlten Erholungsurlaub ergibt.

Da der Gesetzgeber bisher wenig gewillt scheint, das BUrlG an die europäische Rechtslage anzupassen, müssen Arbeitgeber die rechtliche Entwicklung aufmerksam verfolgen, um keine unliebsamen Überraschungen zu erleben.

Aber bereits angesichts der hier dargestellten Entscheidungen dürfte bei einem Großteil der Unternehmen Handlungsbedarf bestehen.

Achim Wurster

Achim Wurster

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Sozialrecht
Zertifizierter Fachexperte für betriebliche Altersversorgung (BRBZ e.V.)