Medizinrecht, Versicherungsrecht

Anspruch auf kostenlose Herausgabe von Behandlungsunterlagen?

- Ulrike Scheible

Das Verhältnis von Art. 15 DS-GVO zu § 630g BGB

Nach einem Urteil des Landgerichts Dresden vom 29.5.2020 (AZ 6 O 76/20) kann ein Patient seinen Anspruch auf Herausgabe von Behandlungsunterlagen gegen seinen Arzt sowohl auf § 630 g Abs. 1 S. 1 BGB als auch auf Art. 15 Abs. 3 DS-GVO stützen. Die beiden Ansprüche stehen demnach gleichberechtigt nebeneinander.

Datenschutzrecht vs. Zivilrecht

Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes im Jahr 2013 haben Patienten ein im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten Anspruch auf Einsichtnahme in ihre Patientenakte. Der behandelnde Arzt hat eine Kopie der Patientenunterlagen an den Patienten zu übersenden. Nach Paragraf 630g Abs. 1 und 2 BGB darf der Arzt hierfür Kostenersatz für die Erstellung der Kopie verlangen. Daneben steht Patienten auch der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch auf Einsichtnahme in die gespeicherten personenbezogenen Daten in der Patientenakte zu (Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO). Wesentlich ist hierbei, dass der Arzt sämtliche Unterlagen mit Personenbezug aus datenschutzrechtlichen Gründen kostenfrei dem Patienten zur Verfügung stellen muss.

Berechtigterweise stellen sich die Fragen, in welchem Verhältnis das Patientenrechtegesetz zur Datenschutz-Grundverordnung steht und ob der Arzt für die Herausgabe der Unterlagen überhaupt noch Kostenersatz verlangen kann oder nicht.

Das Landgericht Dresden hat in seiner Entscheidung die Frage unbeantwortet gelassen, ob der Anspruch nach der Datenschutz-Grundverordnung genauso weit reicht wie der auf die Einsichtnahme nach dem Patientenrechtegesetz. Unklar bleibt daher, ob die gesamte Patientenakte auch nach Art. 15 DSGVO herauszugeben ist oder nicht lediglich eine Zusammenstellung der ärztlich verarbeiteten personenbezogenen Daten.

Es bleibt daher zu vermuten, dass Patienten zunehmend ihren Anspruch auf Herausgabe von Behandlungsunterlagen auf den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch stützen, um eine Kostentragung zunächst zu umgehen. Nimmt man die Vorschrift nach der Datenschutz-Grundverordnung wörtlich, könnte man zu dem Schluss kommen, dass der Patient tatsächlich einen Anspruch auf eine kostenlose Erstkopie der kompletten Behandlungsakte hat. Dieser Ansatz würde allerdings dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht gerecht werden. Art. 15 DS-GVO regelt ein Auskunftsrecht, welches dem Patienten einen Einblick in die Verarbeitung von personenbezogenen Daten ermöglichen soll. Hintergrund ist die Überprüfung auf die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung dieser Daten beim Verarbeiter hin. Die Regelung im Patientenrechtegesetz hat allerdings den Sinn und Zweck, den medizinischen Zustand der Person zu beurteilen und die ärztliche Behandlung auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und geht daher weiter. Daher sollte bei einem Herausgabeverlangen der Sinn und Zweck klar im Vordergrund stehen und ausschlaggebend für die Frage des Kostenerstattungsanspruches sein.

Für den behandelnden Arzt dürfte es allerdings viel Zeit in Anspruch nehmen, die Behandlungsunterlagen dahingehend zu überprüfen, welche Dokumente personenbezogene Daten enthalten und welche nicht. Daher empfiehlt es sich, eine digitale Patientenakte zu führen, um in Zukunft die Unterlagen ohne großen Aufwand an den Patienten herauszugeben. Denn sollte sich die Rechtsprechung des Landgerichts Dresden verfestigen, so dürfte eine Herausgabe der Behandlungsdokumentation ohne Kostenerstattung zum Standard werden. Dennoch bleibt zu hoffen, dass in naher Zukunft die Frage hinsichtlich des Umfangs des Herausgabeanspruchs nach der Datenschutz-Grundverordnung gerichtlich geklärt wird.

Praxistipp: Es ist zu empfehlen, das Herausgabeverlangen des Patienten genau zu überprüfen, insbesondere auf welche Anspruchsgrundlage sich der Patient beruft. Sollte ein Herausgabeverlangen ausdrücklich auf ein Auskunftsrecht nach der Datenschutz-Grundverordnung gestützt werden, so ist zum jetzigen Zeitpunkt und im Lichte der Rechtsprechung des Landgerichts Dresden ein Kostenersatzanspruch für die Kopien gegenüber dem Patienten wohl zu verneinen.

Ulrike Scheible

Ulrike Scheible

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht