Versicherungsrecht

Der BGH und die kapitalbildende Lebensversicherung - ein Rosenkrieg mit den Versicherern

- Dr. Sigrid Schmitz

Ein Beitrag von Rechtsanwältin Dr. Sigrid Schmitz - Fachanwältin für Versicherungsrecht, Fachanwältin für Familienrecht, Reutlingen

Hand aufs Herz - wer von uns hat sie nicht? Die kapitalbildende Lebensversicherung, oft dazu auch als eine fondsgebundene Lebensversicherung, begleitet fast jeden volljährigen Mitbürger für eine längere oder auch kürzere Zeit seines Lebens.

Falls eine solche kapitalbildende Lebensversicherung schon nach kurzer Zeit vom Versicherungsnehmer gekündigt wird, stellt sich immer die Frage, welchen Rückkaufswert der Versicherungsnehmer noch bekommt.

Bis Mai 2001 gab es keinen Zweifel, dass im Falle einer Kündigung der Kapitallebensversicherung der Versicherer das Deckungskapital, welches zum Kündigungszeitpunkt vorhanden war, berechnete und davon die Vermittlungsprovisionen und sonstigen Abschlusskosten vollständig abzog. Das führte dazu, dass im Falle einer Kündigung der Kapitallebensversicherung nach kurzer Vertragslaufzeit meistens kein Rückkaufswert oder nur ein ausgesprochen geringer Rückkaufswert verblieb. Grund dafür ist die sogenannte „Zillmerung“. Hierbei werden die ersten Beiträge, soweit sie nicht für Leistungen im Versicherungsfall und Kosten des Versicherungsbetriebs in der jeweiligen Versicherungsperiode bestimmt sind, zur Tilgung der Abschlusskosten herangezogen. Wenn nach dieser Verrechnung der ersten Prämien mit den Kosten des Versicherers überhaupt noch etwas übrig blieb, wurde dieser Betrag als Rückkaufswert an den Versicherungsnehmer ausgezahlt.

Diese Vorgehensweise wurde zunehmend als ungerecht empfunden und von Verbraucherschutzorganisationen vehement kritisiert. Seit Mai 2001 gibt es eine fortlaufende Kette von Urteilen, die sich mit dem Thema des Rückkaufswertes in „Frühstornofällen“ beschäftigen. Dazu im Einzelnen:

Mit Urteil vom 09.05.2001 (Aktenzeichen: IV ZR 121/00, NJW 2001, 2014) stellte der BGH fest, dass die von Versicherern verwendeten Klauseln (hier kommt es auf den genauen Wortlaut der Klausel an!) intransparent und damit unwirksam sind, wenn sie dem Versicherungsnehmer wirtschaftliche Nachteile im Falle einer Kündigung oder Beitragsfreistellung und die Folgen der Verrechnung der Abschlusskosten nicht deutlich vor Augen führen. Somit entfällt mangels wirksamer Vereinbarung ein Stornoabzug im Sinne von § 176 Abs. 4 VVG a. F. Im Klartext heißt das: Wenn der Versicherungsnehmer nicht in den Versicherungsbedingungen darauf hingewiesen wurde, dass er bei einer frühen Kündigung seiner Kapitallebensversicherung wegen der „Zillmerung“ keinen oder nur einen sehr geringen Rückkaufswert erhalten wird, ist diese Klausel unwirksam. Eine „Zillmerung“ darf dann nicht mehr erfolgen, der Versicherungsnehmer müsste den Rückkaufswert ungekürzt erhalten.

Es ergibt sich also eine Regelungslücke, die durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen ist. Das hatte der BGH bisher so gelöst, dass der vereinbarte Betrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts einen Mindestbetrag nicht unterschreiten durfte. Dieser wurde bestimmt durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten „ungezillmerten“ Deckungskapitals. Bereits erworbene Ansprüche aus einer vereinbarten Überschussbeteiligung werden dadurch nicht erhöht (BGH, Urteil vom 12.10.2005, Aktenzeichen: IV ZR 162/03, NJW 2005, 3559). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß bestätigt worden (Beschluss vom 15.02.2006, Aktenzeichen: BvR 1317/96, NJW 2006, 1783).

In seiner aktuellen Entscheidung vom 25.07.2012 (Aktenzeichen IV ZR 201/10) hat der BGH die Verrechnung von Abschlusskosten nach dem „Zillmerverfahren“ nunmehr endgültig für unwirksam erklärt. Zur Begründung führte der BGH aus, die „Zillmerung“ führe zu einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers, weil sein Recht auf die Versicherungssumme dadurch beeinträchtigt werde. Die Kapitallebensversicherung diene nicht lediglich der Absicherung des Todesfallrisikos, sondern mindestens gleichrangig auch der Kapitalanlage und Vermögensbildung. Es gäbe eine immer größer werdende Gruppe von Versicherungsnehmern, die den Versicherungsvertrag nicht langfristig fortführen könnten. Für diese würde die Auferlegung der Abschlusskosten je nach Beendigungszeitpunkt zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen.

Bislang war die Vereinbarung des „Zillmerverfahrens“ in den allgemeinen Versicherungsbedingungen des Versicherers nicht als unzulässig beanstandet, sondern nur wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot aus § 307 Absatz 1 S. 2 BGB für unwirksam erklärt, weil nicht in der erforderlichen Weise auf die wirtschaftlichen Folgen einer Kündigung in den ersten Vertragsjahren hingewiesen worden war. Es kam also immer auf die konkrete Formulierung in den jeweiligen Versicherungsbedingungen an. Bei einem bis zum vorgesehenen Ende durchgeführten Rentenversicherungsvertrag oder Kapitallebensversicherungsvertrag hatte er bislang die durchgeführte „Zillmerung“ nicht beanstandet (BGH VersR 2008, 244). Die revolutionäre Leistung des BGH in der aktuellen Entscheidung liegt nun darin, dass eine Vereinbarung des „Zillmerverfahrens“ in den Versicherungsbedingungen der Kapitallebensversicherungen und auch der fondsgebundenen Rentenversicherungen insgesamt für unwirksam erklärt wird und zwar unabhängig davon, ob auf die wirtschaftlichen Folgen einer Kündigung in den ersten Vertragsjahren hingewiesen wurde oder nicht. Damit sind alle Klauseln, die vor 2008 verwendet wurden und in welchen eine „Zillmerung“ für die Berechnung des Rückkaufswertes im Falle einer früheren Kündigung des Vertrages vorgesehen ist, nun gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 1 S. 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung des Versicherungsnehmers unwirksam.

Wie allerdings die hierdurch entstandenen Lücken in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu schließen sind, verrät der BGH nicht – dazu musste er aufgrund der Fallkonstellation auch keine Aussage treffen. In der Praxis stellt sich daher die Frage, welche Konsequenzen das Urteil des BGH vom 25.07.2012 für den Einzelnen hat:

Betroffen sind im Regelfall nur die Verträge, die vor 2008 abgeschlossen wurden. Sofern Altverträge bereits gekündigt und abgewickelt sind, kann das Urteil eine Grundlage für Nachforderungsansprüche der Versicherungsnehmer bieten. Dabei ist freilich die Verjährungsfrist zu beachten (§§ 195, 199 Abs.1 BGB: nach Abrechnung drei Jahre zum Jahresende); durchsetzbar sind damit nur noch seit Anfang 2009 entstandene Ansprüche.

Im „Neugeschäft“ werden seit 01.01.2008 üblicherweise Klauseln verwendet, die sich am reformierten § 169 Abs. 3 VVG orientieren. Der Rückkaufswert wird dort definiert als

das - nach anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode - berechnete Deckungskapital der Versicherung, bei einer Kündigung des Versicherungsverhältnisses jedoch mindestens der Betrag des Deckungskapitals, das sich bei gleichmäßiger Verteilung der angesetzten Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten fünf Vertragsjahre ergibt.

Insoweit löst das Urteil keinen Anpassungsbedarf aus.

Die vom BGH ebenfalls beanstandeten Stornoklauseln entfallen bei Neuverträgen ab 2008 ebenso wie in Altverträgen ersatzlos. Diese – nun für unwirksam erklärten - AVB sahen vor, dass bei vorzeitiger Vertragsbeendigung „ein als angemessen angesehener Abzug vorgenommen“ wird; zugleich wurde dem Versicherungsnehmer ausdrücklich der Nachweis eröffnet, dass ein niedrigerer oder gar kein Abzug angemessen ist. Hier werde laut BGH dem Kunden durch die gewählte Formulierung nicht deutlich, dass zunächst der Verwender die generelle Angemessenheit des abgezogenen Betrags beweisen müsse und den Kunden erst in einem zweiten Schritt die Beweislast dafür treffe, dass in seinem konkreten Einzelfall der Abzug überhöht ist. Der Versicherer wird im Zweifelsfall nicht nachweisen können, dass der abgezogene Betrag angemessen ist, sodass ein Stornoabzug entfällt.

Die so genannte Zehn-Euro-Klausel, wonach Beträge unter zehn Euro den vorzeitig kündigenden Versicherungsnehmern nicht erstattet werden, verwirft der BGH wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 BGB. Der Versicherer muss also einen Rückkaufswert – auch wenn er unter 10 € liegt – immer berechnen und auszahlen.

Wenn Sie in den letzten Jahren eine Kapitallebensversicherung oder fondsgebundene Rentenversicherung gekündigt haben, sollten Sie die Berechnung des Rückkaufswertes genauer prüfen. Sie könnte nach den aktuellen Vorgaben des BGH fehlerhaft sein.

Dr. Sigrid Schmitz

Dr. Sigrid Schmitz

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Familienrecht
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