Erbrecht

Der Pflichtteilsanspruch – Enterbt und doch bereichert

- Paul Knorr

Der Gesetzgeber hat in den § 1922 ff. BGB seine Vorstellungen in Gesetzesform gegossen, wer in einer bestimmten Reihenfolge Erbe werden soll. Aufgrund der Testierfreiheit wird einem Jeden jedoch die Möglichkeit gegeben, von dieser Erbfolge nach den eigenen Vorstellungen abzuweichen. Die Testierfreiheit des Einzelnen ist unbeschränkt, das heißt, man kann als Erben einsetzen wen man möchte und die gesetzlich vorgesehenen Erben enterben - zumindest zum großen Teil. Eine vollständige „Enterbung“ bestimmter gesetzlicher Erben kann in der Regel nicht erreicht werden, da das Pflichtteilsrecht die Testierfreiheit einschränkt. Das Pflichtteilsrecht sichert sehr engen Verwandten einen nur in sehr strengen Ausnahmefällen entziehbaren Anteil am Nachlass. Die allgemeine Vorstellung, dass die Enterbung den vollständigen Ausschluss von dem Nachlassvermögen zur Folge hat, ist ein weit verbreiteter Irrglaube.

Pflichtteil, Pflichtteilsberechtigte und Pflichtteilsberechnung

Der Pflichtteil ist ein auf Geld gerichteter Anspruch, der mit dem Zeitpunkt des Todes entsteht und sich gegen den Erben. Voraussetzung ist, dass ein gesetzlicher Erbe von der Erbfolge ausgeschlossen wurde bzw. weniger, als seinen Pflichtteilsanspruch bekommen würde.

Wer pflichtteilsberechtigt ist, legt das Gesetz in § 2303 BGB fest: Pflichtteilsberechtigt sind die Abkömmlinge (Kinder, Enkel, Urenkel usw., Adoptierte), der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und, falls es keine Abkömmlinge gibt, sogar noch die Eltern des Erblassers.

Die Pflichtteilsquote beträgt immer ½ der gesetzlichen Erbquote: Der Erblasser, der unverheiratet verstirbt und ein Kind hat, setzt den Tierschutzverein als seinen Erben ein. Nach § 1924 Abs. 1 BGB wäre das Kind gesetzlicher Alleinerbe. Durch die abweichende letztwillige Verfügung hat der Erblasser sein Kind jedoch von der Erbfolge ausgeschlossen. Die Pflichtteilsquote des Kindes beträgt damit ½ von 100 %, mithin 50 %.

Die Höhe des Pflichtteils wird anhand des Nachlasswertes zum Zeitpunkt des Todes, sogenanntes „Stichtagsprinzip“, bestimmt. Da der von der Erbfolge ausgeschlossene Pflichtteilsberechtigte in den meisten Fällen keine Kenntnis von dem konkreten Nachlass haben wird, ist der Erbe nach § 2314 BGB auf Anforderung verpflichtet, dem Pflichtteilsberechtigten Auskunft über Bestand, Umfang, Höhe und Verbleib des Nachlasses zu erteilen sowie auf Verlangen die Werte der Nachlassgegenstände durch Sachverständige zu ermitteln. Der Erbe muss, wenn die Auskunft gefordert wird, ein sogenanntes „Nachlassverzeichnis“ erstellen.

Nachlassschmälerung und Pflichtteilsergänzung

Da der Pflichtteilsanspruch anhand des Wertes des Nachlasses im Todeszeitpunkt berechnet wird (Stichtag), könnten Erblasser auf die Idee kommen, ihr Vermögen zu Lebzeiten durch unentgeltliche Übertragung an Dritte zu schmälern.

Hier schützt das Gesetz den Pflichtteilsberechtigten durch die Regelung des § 2325 BGB: Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers werden dem Nachlass hinzugerechnet und ein sogenannter „fiktiver Nachlass“ gebildet. Schenkungen bleiben nur dann unberücksichtigt, wenn seit der Leistung des Gegenstandes eine Frist von 10 Jahren verstrichen ist.

Die häufig vorkommende unentgeltliche Übertragung von Grundstücken mit dem Vorbehalt eines vollumfänglichen Nießbrauchsrechts muss hier besondere Beachtung geschenkt werden: Der uneingeschränkte Nießbrauch an einer verschenkten Sache sorgt nach der Rechtsprechung dafür, dass die 10-Jahresfrist nicht anwendbar ist.

Ausgenommen von dem Ergänzungsanspruch nach § 2325 BGB sind Anstandsschenkungen des Erblassers, zum Beispiel zu Geburtstagen oder sonstigen Feiertagen und Festlichkeiten.

Wird für die Zuwendung des Erblassers eine Gegenleistung erbracht, liegt keine „Schenkung“ im rechtlichen Sinne vor. Gängige Gegenleistungen sind die Übernahme von Pflegeleistungen oder die Zahlung einer Leibrente. Entsprechen sich Leistung des Erblassers und Gegenleistung nicht verhältnismäßig, kann auch von einer Teilunentgeltlichkeit ausgegangen werden. Nur auf den Unentgeltlichen Teil ist der Ergänzungsanspruch dann gerichtet.

Pflichtteilsoptimierung zu Lebzeiten

Obwohl der Pflichtteilsanspruch nicht ausgeschlossen werden kann bestehen rechtliche Möglichkeiten, den Anspruch durch Lebzeitige Handlungen zu mindern.

In eng begrenzten Fällen des § 2338 BGB ist eine Entziehung des Pflichtteils möglich. Die Voraussetzungen sind jedoch sehr streng. Möglich ist auch die Vereinbarung eines Pflichtteilverzichtes. Erforderlich hierfür ist jedoch die Mitwirkung des Pflichtteilsberechtigten.

Schenkungen zu Lebzeiten können den Nachlass mindern. Hier sollte zum einen auf die Frist von 10 Jahren geachtet werden, zum anderen aber auch auf die konkrete Ausgestaltung der unentgeltlichen Verfügung. Die unüberlegte Vereinbarung eines Nießbrauchs kann böse Folgen für den Erben haben.

Für Fragen und Beratungen zur Optimierung des Pflichtteils stehen Ihnen unsere Experten im Erbrecht jederzeit zur Verfügung, um mit Ihnen die bestmögliche Lösung zu erarbeiten.

Paul Knorr

Paul Knorr

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht