Familienrecht

Grundlegende Änderungen bei der Berechnung von Kindes- und Ehegattenunterhalt

- Dr. Klaus Gekeler

als Folge der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.09.2020 (AZ: XII ZB 499/19)

Mit einem Beschluss vom 16.09.2020 hat der Bundesgerichtshof (NZFam 2020, 1062) grundlegende Änderungen bei der Berechnung von Kindesunterhalt herbeigeführt, dies mit Folgen auch für die Berechnung des Ehegattenunterhalts.

Der Bedarf des Kindes und damit die Höhe des Kindesunterhalts wird aus der sog. Düsseldorfer Tabelle ermittelt. Diese Tabelle wird schon seit 1962 vom Oberlandegericht Düsseldorf in Abstimmung mit anderen deutschen Oberlandesgerichten und dem Deutschen Familiengerichtstag erstellt mit dem Ziel einer Standardisierung der Unterhaltsrechtsprechung der Familiengerichte in Deutschland und dies mit dem Ziel einer bundeseinheitlichen und damit gerechten Rechtsprechung zur Berechnung des Kindesunterhalts. Ergänzt wird diese Tabelle durch Unterhaltsleitlinien einzelner Oberlandesgerichte, beispielsweise den Süddeutschen Leitlinien für den süddeutschen Raum, welche sich allerdings ausnahmslos an der Düsseldorfer Tabelle orientieren. Die Düsseldorfer Tabellen werden in unregelmäßigen Abständen aktualisiert, die aktuelle Tabelle ist seit 01.01.2021 in Kraft.

Die Tabelle beruht auf dem Prinzip einer Abstufung der Höhe des Unterhaltsbedarfs entsprechend dem Einkommen beim Unterhaltspflichtigen. Sie endet in der derzeit höchsten Stufe 10 bei einem zu berücksichtigenden Einkommen des Verpflichteten zwischen netto 5.101,00 € und 5.500,00 €. Die Tabelle differenziert zwischen 4 Altersgruppen der berechtigten Kinder, nämlich von 0 bis 5, 6 bis 11, 12 bis 17 sowie ab 18 Jahren. In der höchsten Einkommensgruppe führt dies zwischen 12 und 17 Jahren zu einem Barunterhaltsanspruch von derzeit monatlich 845,00 € (das Kindergeld in Höhe von derzeit 219,00 €, wird hälftig abgezogen, verbleibender Barunterhalt also derzeit 735,50 €).

Bei darüber hinaus gehenden Einkünften des Verpflichteten bestand bislang die Auffassung, dass das Kind anhand konkreter Darlegung im Einzelfall vortragen und nachweisen müsse, einen höheren Bedarf zu haben. Diese Verpflichtung führte in der Vergangenheit dazu, dass derartige Fälle äußerst selten waren, weil diese Darstellung und der Nachweis eines konkreten Bedarfs nur sehr schwer zu erbringen, wenn nicht gar unmöglich zu begründen war.

Dies führte in Einzelfällen bei Gutverdienern dazu, dass sie ihrem Auskunftsanspruch zum Einkommen gegenüber dem Kind in der Weise nachkamen, sich als „unbegrenzt leistungsfähig“ zu erklären mit der Folge, dass ohne weitere Prüfung von der höchsten Gruppe der Düsseldorfer Tabelle, also Gruppe 10, ausgegangen werden konnte. Das über den Grenzbetrag von 5.500,00 € hinausgehende Einkommen blieb somit also in der Regel unberücksichtigt und führte zu keinen höheren Bedarfssätzen bei der Kindesunterhaltsberechnung.

Dieser bisher gültigen Praxis ist der Bundesgerichtshof jetzt aber ganz deutlich entgegengetreten (Beschluss vom 16.09.2020, Az: XII ZB 499/19). Im Einzelnen geht es um folgende wesentliche Änderungen:

1. Anspruch auf Auskunft

Der Bundesgerichtshof hat nochmals klargestellt, dass ein Auskunftsanspruch des Kindes gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil nicht allein aufgrund der Erklärung des Unterhaltspflichtigen entfällt, er sei „unbegrenzt leistungsfähig“. Die Auskunft wird nämlich nach Auffassung des Bundesgerichtshofs immer dann geschuldet, wenn die Möglichkeit besteht, dass sie Einfluss auf die Berechnung des Kindesunterhalts hat und dies ist auch bei Einkünften der Fall, die höher sind als der Grenzbetrag der Gruppe 10 Düsseldorfer Tabelle, nämlich netto 5.500,00 €.

Der Unterhaltsbedarf eines Kindes bemisst sich nach der Lebensstellung des Kindes, die es regelmäßig, bis zum Abschluss seiner Ausbildung, von seinen Eltern ableitet. Dabei ist nach Auffassung des BGH auf die Lebensstellung beider Eltern abzustellen. Der zu zahlende Betrag ist aber auf die Summe begrenzt, welche sich aus dem erzielten Einkommen des barunterhaltsverpflichteten Elternteils ermittelt.

Da grundsätzlich auch ein Bedarf des Kindes in Frage kommt, welcher bei Nettoeinkünften, ab 5.501,00 € auch über den höchsten Pauschalbetrag der Düsseldorfer Tabelle, in der dritten Altersgruppe also monatlich 845,00 €, hinausreicht, benötigt das Kind in jedem Fall die Auskunft des Verpflichteten zu seinem Einkommen, da es nur dann dazu in der Lage ist, diesen Bedarf auf der Grundlage der wirtschaftlichen Situation beider Eltern, also deren Lebensstellung, zu ermitteln.

Dies bedeutet im Ergebnis, dass diese Auskunft zum Einkommen und Vermögen des barunterhaltspflichtigen Elternteils in jedem Fall besteht und dass diese Auskunft unabhängig von der Höhe der Einkünfte immer verlangt werden kann, wenn es um die Berechnung von Kindesunterhaltsansprüchen geht.

2. Begrenze Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle

Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dass es einer begrenzten Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle bedarf, indem der Unterhalt für Kinder auch aus einem doppelt so hohen Einkommen bis 11.000 Euro zu ermitteln ist. Bedarfsbeträge aus einem bis doppelt so hohen Einkommen seien „nicht ausgeschlossen“.

Damit trägt der Bundesgerichtshof dem Umstand Rechnung, dass in den vergangenen Jahren nicht unerhebliche Einkommenssteigerungen stattgefunden haben, die zwischenzeitlich nicht selten dazu führen, dass die Einkünfte der Unterhaltsverpflichteten höher als 5.501,00 € sind.

Diese Rechtsprechung hat zur Folge, dass es jenseits des Grenzbetrags von 5.501,00 € keiner konkreten Bedarfsermittlung mehr bedarf, um höhere Unterhaltsbeträge geltend machen zu können. Er hat damit dem Problem Rechnung getragen, dass die konkrete Bedarfsermittlung schwierig und ohne Grundlagen der Düsseldorfer Tabelle nahezu unmöglich war.

Dabei hat das Gericht auch nochmals klargestellt, dass auch bei höherem Elterneinkommen sichergestellt bleiben muss, dass Kinder in einer ihrem Alter entsprechenden Weise an deren Lebensführung teilhaben, und zwar auch über die derzeit höchste Gruppe der Düsseldorfer Tabelle hinaus. Eine Obergrenze wie sie bislang faktisch gegeben war, dürfe es nicht geben.

Es wurde vom Bundesgerichtshof auch nochmals klargestellt, dass die von den Eltern abgeleitete Lebensstellung der Kinder nicht davon abhängt, ob die Familie vorher sparsam gelebt hat oder nicht.

Ebenso nimmt das Kind, anders als der geschiedene Ehegatte, an einem späteren Karrieresprung des Unterhaltsverpflichteten und einer damit verbundenen Einkommenserhöhung sehr wohl teil und profitiert davon. Das bedeutet jedoch keine Teilhabe am Luxus der Eltern und dient auch nicht der Vermögensbildung des unterhaltsberechtigten Kindes. Deshalb werden die Bedarfssätze in der Düsseldorfer Tabelle auch nicht linear mit der Steigerung der Einkünfte des Verpflichteten erhöht. Sie sind vielmehr stark degressiv gestaltet.

Wichtig an der Entscheidung zur zugelassenen Erweiterung der Düsseldorfer Tabelle ist für die juristische Praxis, dass diese Änderung jetzt schon und ohne gesetzgeberische Änderung wirkt, was betroffenen Kindern aktuell und unmittelbar die Möglichkeit eröffnet, die bisherige Unterhaltsberechnung prüfen und gegebenenfalls nach oben anpassen zu lassen.

Die Verfasser der Düsseldorfer Tabelle waren von dieser Rechtsprechung überrascht und haben ihr mit der ab 01.01.2021 gültigen Tabelle noch nicht Rechnung getragen. Zwischenzeitlich aber wird die Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle in der juristischen Literatur umfangreich diskutiert und es gibt bereits drei Modell-Berechnungen aus unterschiedlichen Quellen.

Es gibt die folgenden Vorschläge einer Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle über die 10. Einkommensgruppe hinaus, also ab einem Einkommen von 5.501,00 €:

a) Tabelle nach Dr. Wolfram Viefhues, Richter am Amtsgericht i. R. (FuR 2021, 67):
Herr Dr. Viefhues hat die Tabelle um 14 Gruppen erweitert und gelangt in der höchsten Gruppe bei einem Einkommen bis 11.100,00 € zu einem Kindesunterhaltsbedarf in der 3. Altersgruppe von 1.436,00 € (bisher 845,00 €).

b) Tabelle nach Helmuth Borth, Präsident des Amtsgerichts a. D. (FamRZ 2021, 340):
Herr Helmuth Borth erweitert die Tabelle um weitere 10 Gruppen bis zu einem Nettoeinkommen von 11.000,00 € und einem Bedarf in der 3. Altersgruppe von 1.268,00 € (bisher 845,00 €).

c) Vorschlag der Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstags (FamRZ 2021, 923, 925): Diese auch für die Entwicklung und Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle einflussreiche Kommission hat eine weitere Berechnungsalternative geschaffen mit einer grundlegenden Überarbeitung der Düsseldorfer Tabelle nach bisheriger Ausgestaltung und bisheriger Berechnung des pauschalen Bedarfs, sowie durch Schaffung weiterer fünf Gruppen mit der Folge, dass in der höchsten, 15. Einkommensgruppe bis 11.000,00 € nun ein Bedarf in der 3. Altersgruppe des Kindes begehrt werden kann von 1.056,00 € (bisher 845,00 €).

Somit liegen nun für die Berechnung des Unterhaltsbedarfs des Kindes jenseits der Einkünfte eines Elternteils von 5.501,00 € drei Vorschläge vor mit der Folge eines Unterhalts des Kindes in der 3. Altersgruppe von 1.056,00 € über 1.268,00 € bis 1.436,00 €.

Dies führt nun in der Praxis dazu, dass jeder, der unter diesen Voraussetzungen Unterhalt berechnet und begehrt, sich die Tabelle heraussucht, die ihm günstiger erscheint und dann beim Amtsgericht – Familiengericht – versucht, diese Position durchzusetzen. Rechtssicherheit gibt es also derzeit nicht. Sicher ist nur, dass auf der Grundlage der BGH-Rechtsprechung keine konkrete Bedarfsberechnung über die 10. Gruppe der Düsseldorfer Tabelle hinaus mehr, notwendig ist, um mehr Unterhalt verlangen zu können.

Es wird allgemein erwartet, dass die Verfasser der Düsseldorfer Tabelle dann wenigstens ab 01.01.2022 eine modifizierte, erweiterte und angepasste Tabelle mit der Berücksichtigung dieser BGH-Rechtsprechung vorlegen werden, sodass spätestens von da an wieder Rechtssicherheit besteht. Bis dahin allerdings bestehen erhebliche Freiheiten in der Gestaltung und Umsetzung der hier besprochenen BGH-Rechtsprechung, denn diese gilt jetzt schon und nicht erst ab 01.01.2022.

3. Auswirkungen dieser Änderung

a) Bislang wurde der Bedarf beispielsweise eines volljährigen Studenten mit eigenem Haushalt nach der aktuell gültigen Düsseldorfer Tabelle bei monatlich 860,00 € gesehen (darin 375,00 € für Unterkunft enthalten).
Wie gezeigt würde nach den bestehenden Vorschlägen der Barbedarf eines minderjährigen Kindes bis zum Eintritt der Volljährigkeit bei 1.436,00 € liegen können, läge also um 576,00 € über dem Bedarf eines Studenten mit eigenem Hausstand.
Dass dies nicht richtig sein kann, bedarf keiner näheren Erläuterung. Es wird dies zu einer deutlichen Anhebung des Bedarfs eines studierenden Kindes führen müssen, wobei noch völlig unklar ist, ob dies dann im Einzelfall konkret berechnet oder pauschaliert wird.

b) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach das Kind seinen Unterhalt aus der Lebensstellung beider Eltern ableitet, der Unterhaltsanspruch gegenüber dem Verpflichteten jedoch auf den nach seinem Einkommen geschuldeten Zahlbetrag beschränkt bleibt, führt dazu, dass ein Bedarfsanteil des Kindes, gerechnet aus dem Einkommen beider Eltern, ungedeckt bleibt. Bei einem Familieneinkommen beider Eltern von 5.000,00 € und einem Einzeleinkommen des Unterhaltsverpflichteten von 3.600,00 € wäre dies ein Fehlbetrag von monatlich 127,00 €. Es stellt sich nun die Frage, wie damit zu verfahren ist. Würde man diesen Fehlbetrag dem betreuenden Elternteil zuordnen, hätte das bei der Berechnung des Ehegattenunterhalts zur Konsequenz, dass die Ehegattenunterhaltsansprüche des betreuenden Elternteils sich um die Hälfte dieses Betrags erhöhen. Reicht der Barunterhalt des anderen Elternteils nicht aus, um den gesamten Bedarf des Kindes zu decken, der sich nach den zusammengerechneten Einkünften beider Eltern ergibt, besteht ein ergänzender Anspruch des Kindes auf Barunterhalt auch gegenüber dem betreuenden Elternteil, welcher wiederum nur in Form von Betreuungsleistungen dieses Elternteils erbracht werden kann. Da die Betreuungsleistungen dieses Elternteils gleichwertig neben dem Barunterhalt des anderen Elternteils stehen, muss folglich auch bei der Berechnung des Ehegattenunterhalts dieser zusätzliche Barbedarf, welcher vom betreuenden Elternteil erbracht wird, bei der Ermittlung des Ehegattenunterhalts von dessen Einkommen abgezogen werden, was zu einer Erhöhung des Ehegattenunterhalts führt.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vielfältige Änderungen bei der Berechnung des Kindesunterhalts, aber auch bei der Berechnung des Ehegattenunterhalts erbringen wird, die jetzt schon Anwendung finden können. Die Umsetzung in der juristischen Praxis gestaltet sich vorläufig noch schwierig angesichts der noch nicht angepassten und erweiterten Düsseldorfer Tabelle, aber auch wegen daraus entstandenen, noch nicht abschließend geklärten rechtlichen Fragen, weshalb eine intensive rechtliche Beratung zu diesen Themen unbedingt empfohlen werden muss.

Dr. Klaus Gekeler

Dr. Klaus Gekeler

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Familienrecht
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht