Bau- und Architektenrecht

Per Bürgerentscheid gegen einen Bebauungsplan vorgehen – geht das?

- Daniel Krummacher

Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Baden-Württemberg sind sogenannte parlamentarische Demokratien. In parlamentarischen Demokratien kommt dem Parlament, das die Regierung bestimmt und kontrolliert, wichtige Bedeutung zu. In Demokratien besteht das Parlament aus – vom Volk gewählten – Repräsentanten. Die Regierungsform der parlamentarischen Demokratie wird deshalb auch als repräsentative Demokratie bezeichnet. Politische Entscheidungen werden nicht unmittelbar (direkt) durch das Volk getroffen, sondern „nur“ mittelbar durch die Repräsentanten (indirekt).

„Harte“ direktdemokratische Instrumente auf lokaler Ebene

Dieses System erfährt insbesondere auf kommunaler Ebene aber Durchbrechungen. Denn hier gibt es „harte“ direktdemokratische Instrumente (BeckOK Dietlein/Pautsch/Haug, Kommunalrecht BW, § 21, Rn. 1). Über lokale politische Sachfragen kann also unmittelbar und direkt abgestimmt werden. Allein in Baden-Württemberg gab es zwischen 1956 und 2019 insgesamt 761 Bürgerbegehren, 231 Ratsbegehren und 462 Bürgerentscheide (so der Verein „Mehr Demokratie e.V.“ im Bürgerbegehrensbericht 2020, S. 13). Die kommunalrechtliche Fachliteratur bewertet diese plebiszitären Instrumente als gelingende Mobilisierung der Bürgerschaft für die Wahrnehmung ihrer eigenen Angelegenheiten im Sinne des Selbstverwaltungsgedankens aus Art. 28 Abs. 2 GG (so Katz in VBlBW 2009, 373, 377 f.).

Also uneingeschränkte Vorfahrt für die direkte Demokratie?

Die direktdemokratischen Handlungsoptionen für Einzelsachfragen sollen nach dem Willen des (Landes-) Gesetzgebers freilich nicht dazu führen, dass die repräsentativen Entscheidungsstrukturen ausgehöhlt werden. Vielmehr soll dem repräsentativ gewählten Gemeinderat (bzw. auf Landkreisebene: dem Kreistag), mitunter als „Gemeindeparlament“ bezeichnet, ein Kernbestand an unverfügbaren Entscheidungszuständigkeiten verbleiben. Der Gesetzgeber hat deshalb in § 21 Abs. 2 der Gemeindeordnung weiteichende Ausschlusstatbestände kodifiziert. In dieser Liste ist festgelegt, worüber kein direktdemokratischer Entscheidungsprozess stattfinden soll. Prominente Beispiele sind die kommunale Haushaltssatzung (§ 21 Abs. 2 Nr. 4 GemO) oder Bauleitpläne und örtliche Bauvorschriften mit Ausnahme des verfahrenseinleitenden Beschlusses (§ 21 Abs. 2 Nr. 6 GemO).

Zumindest bei Fragen der Bauleitplanung also keine direkte Demokratie?

In ständiger Rechtsprechung versteht der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg unter dem Ausschlussgrund in § 21 Abs. 2 Nr. 6 GemO die „gesamte Bauleitplanung“ im Sinne des § 1 BauGB (Beschl. v. 20.3.2009 – 1 S 419/09 Ls. 1, veröffentlicht in BeckRS 2009, 32774). Begründet wird dies damit, dass die Gemeinde in der Bauleitplanung ihre Planungshoheit als wichtigen Teil der Selbstverwaltungsgarantie gemäß Art. 28 Abs. 22 GG ausübt. Die Planungen seien auf die Ausbalancierung verschiedenster Interessen z.B. fachlicher, ressourcenmäßiger, eigentumsbezogener oder sonst individueller Art gerichtet. Dies setze Fachkompetenz und Verhandlungsmechanismen voraus. Derartige Fragen seien deshalb für direktdemokratische Entscheidungsprozesse mit einer schematischen „Ja/Nein“-Alternative weniger geeignet (vgl. Bock BWGZ 2011, 855-862). Das Bundesverfassungsgericht formulierte deshalb in seiner Stendal-Entscheidung: Planungsfragen sind primär administrativ und nur ausnahmsweise vom Gesetzgeber zu behandeln (BVerfGE 95, 1 (15-17)).

Demnach könnte viel dafürsprechen, dass der Gesetzgeber die gesamte Bauleitplanung sämtlichen direktdemokratischen Mechanismen entziehen wollte.

Ausnahme: „Verfahrenseinleitender Beschluss“

Das Landesparlament hat sich aber für eine differenzierende Lösung entschieden. Zum 01.12.2015 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit etabliert, jedenfalls den das Verfahren der Bauleitplanung einleitenden Beschluss zum Gegenstand eines Bürgerentscheids zu machen. Damit wurde der Anwendungsbereich für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide erweitert: Der verfahrenseinleitende Beschluss (häufig: sog. „Aufstellungsbeschluss“) kann seither der direktdemokratischen Entscheidung der Bürger unterworfen werden. Zum Vergleich: Vor der Gesetzesänderung hatte der Verwaltungsgerichtshof noch Grundsatzentscheidungen per Bürgerentscheid, die auf Planungsverzicht gerichtet waren, lediglich in der „der Bauleitplanung vorgelagerten Phase“ für zulässig erachtet (Beschl. v. 27.6.2011 – 1 S 1509/11 Ls. 1 und Rn. 24 f., veröffentlicht in BeckRS 2011, 52300). Im Übrigen aber sollte weiterhin gelten: Zum verfahrensabschließenden Beschluss über die Satzung nach § 10 BauGB (sog. „Satzungsbeschluss“) sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheide (weiterhin) nicht möglich (LT-Drs. 15/7265, 35 f.).

Gretchenfrage: Wie lange dauert die Verfahrenseinleitung an?

Die sich nach der Gesetzesänderung aufdrängende „Gretchenfrage“ war nun: Was gilt für Verfahren der Bauleitplanung nach Aufstellungs-, aber vor Satzungsbeschluss? Sind Bürgerentscheide möglich oder gesperrt, wenn in einem konkreten Bebauungsplanverfahren nach dem Aufstellungsbeschluss auch noch weitere Verfahrensschritte eingeleitet bzw. durchgeführt wurden, wie z. B. die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 BauGB, die förmliche Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden nach § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2 BauGB?

Verwaltungsgerichtshof stärkt direktdemokratische Elemente in der Bauleitplanung

Diese Frage hat der Verwaltungsgerichtshof in einer noch jungen Entscheidung (Beschl. v. 26.02.2024 – 1 S 1925/23, veröffentlicht u.a. in NVwZ-RR 2024, 1012) nun beantwortet: Ist der Bebauungsplan noch nicht nach § 10 BauGB als Satzung erlassen, kann die Aufhebung des Aufstellungsbeschlusses grundsätzlich Gegenstand eines Bürgerentscheids sein. Stimmt dabei die Mehrheit der Bürger mit dem notwendigen Quorum für die Aufhebung des Beschlusses des Gemeinderats, den Bebauungsplan aufzustellen, hat dies einen Planungsverzicht der Gemeinde zur Folge. Das begonnene, noch laufende und noch nicht abgeschlossene Bebauungsplanverfahren ist als Folge davon einzustellen.

Im Ergebnis stärken der Landesgesetzgeber einerseits und der Verwaltungsgerichtshof andererseits damit die Möglichkeiten direktdemokratischer Einflussnahme auf kommunaler Ebene. Auf dass die Mobilisierung der Bürgerschaft für die Wahrnehmung ihrer eigenen Angelegenheiten weiterhin gelinge!

Daniel Krummacher

Daniel Krummacher

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Verwaltungsrecht