(BFH, Urteil v. 09.05.2025 – IX R 4/23)
Wird die Übertragung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft von den Vertragsparteien wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage rückgängig gemacht, kann dieses Ereignis steuerlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirken. Der BFH bestätigt mit seinem Urteil vom 9. Mai 2025 (Az. IX R 4/23) damit seine bisherige Rechtsprechung (Urt. v. 28.10.2009 – IX R 17/09) und konkretisiert die Voraussetzungen, unter denen eine solche Rückwirkung anzunehmen ist.
1. Wegfall der Geschäftsgrundlage als zivilrechtliche Grundlage
Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag bei Kenntnis dieser Veränderung nicht oder nur mit anderem Inhalt geschlossen hätten. Maßgeblich ist, ob einem Teil das Festhalten am unveränderten Vertrag nach den Umständen des Einzelfalls – insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung – nicht zugemutet werden kann.
Nach § 313 Abs. 2 BGB steht es einer Änderung der Umstände gleich, wenn sich wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, als falsch herausstellen. Dies kann sich sowohl auf tatsächliche als auch auf rechtliche Annahmen beziehen – einschließlich steuerrechtlicher Folgen.
Allerdings gilt, dass ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht geltend gemacht werden kann, wenn die Störung ausschließlich in den Risikobereich einer Partei fällt. Auch die bloße Fehlvorstellung einer Partei („Motivirrtum“) genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass die Parteien eine gemeinsame Vorstellung hatten, die sich später als unzutreffend erweist.
2. Übertragung der Grundsätze auf das Steuerrecht
Der BFH hat die zivilrechtlichen Grundsätze auf steuerrechtliche Rückwirkungen übertragen und konkretisiert – allerdings unter Berücksichtigung der steuerrechtlichen Besonderheiten:
- Eine steuerlich rückwirkende Änderung wird nur anerkannt, wenn der Grund für den Wegfall der Geschäftsgrundlage bereits im ursprünglichen Geschäft „angelegt“ war. Der BFH stellt aber ausdrücklich fest, dass es nicht erforderlich ist, dass die Umstände, die zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führen, bereits aus dem Wortlaut des Vertrages hervorgehen. Der Steuerpflichtige muss aber substantiiert darlegen und beweisen, dass ein Umstand schon vor oder bei Abschluss des gestörten Geschäfts von den Parteien als so selbstverständlich angesehen wurde, dass mit seinem Wegfall der Vertrag insgesamt nicht bestehen sollte.
- Steuerliche Folgen eines geschlossenen Vertrages können Geschäftsgrundlage sein, wenn sie vor oder bei Vertragsschluss ausdrücklich thematisiert wurden. Spätere Aufhebungsvereinbarungen reichen aber nicht aus.
- Für die steuerliche Anerkennung der Rückwirkung ist nicht erforderlich, dass ein ordentliches Gericht den Wegfall der Geschäftsgrundlage bestätigt hat.
- Nicht jede Fehlvorstellung über steuerliche Folgen führt automatisch zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Fällt eine Fehlvorstellung ausschließlich in den Risikobereich einer Partei, ist ein Wegfall der Geschäftsgrundlage mit Rückwirkung steuerlich ausgeschlossen. Der BFH betont nochmals den Ausnahmecharakter einer Rückabwicklung. Sie soll auf Fälle beschränkt bleiben, in denen das Festhalten am Vertrag zu untragbaren Ergebnissen führen würde.
3. Fazit
Eine Rückabwicklung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage kann steuerlich auf den ursprünglichen Zeitpunkt zurückwirken, ist aber nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich. Maßgeblich ist, dass die Parteien schon beim Vertragsschluss eine gemeinsame Vorstellung hatten, die sich als unzutreffend herausstellte und ohne die das Geschäft nicht abgeschlossen worden wäre. Dies bedarf einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung im Einzelfall.
