Steuerrecht

Die bisherige Verzinsung von Steuernachforderungen ist verfassungswidrig – oder vielleicht doch nicht?

- Christian Weber

Anmerkung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Verzinsung bei Steuernachforderungen v. 8. Juli 2021

Der Steuerpflichtige hat Steuernachforderungen des Finanzamtes nach Ablauf einer Karenzzeit zu verzinsen. Insbesondere in den Fällen, in denen die Steuerbescheide sehr spät nach dem Ende des jeweiligen Veranlagungszeitraumes ergingen, sah sich der Steuerpflichtige aufgrund des in § 233a AO vorgesehenen Zinssatz von 6,0% pro Jahr einer erheblichen Zinsbelastung ausgesetzt, für die er in der Regel nichts konnte.

Aufgrund der seit der Finanzkrise 2009 andauernden Niedrigzinsphase wurde zunächst von einigen Finanzgerichten und schließlich auch vom Bundesfinanzhof dieser Zinssatz für Veranlagungszeiträume seit 2010 für verfassungswidrig erachtet. Selbst die Finanzverwaltung hatte aufgrund dessen zuletzt die Zinsfestsetzung in den Steuerbescheiden für vorläufig erklärt.

Mit Spannung war daher eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwartet worden, wobei sich die Spannung wohl eher auf die Höhe des künftigen Zinssatzes als auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der bestehenden gesetzlichen Regelung bezogen haben dürfte.

Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr mit Beschluss vom 8. Juli 2021 über die Verfassungsmäßigkeit des § 233a AO entschieden Wenig überraschend hat das BVerfG zunächst festgestellt, dass zumindest ab dem Jahr 2014 der Zinssatz von 6 % p.a. verfassungswidrig ist. Für die Jahre 2010 bis 2013 sei der Zinssatz allerdings (gerade) noch als verfassungsgemäß anzusehen.

Wer sich jedoch jetzt darüber freut, dass er möglicherweise in der Vergangenheit zu viel an das Finanzamt bezahlte Zinsen zurückerhält, sieht sich leider getäuscht, da das Bundesverfassungsgericht gegen Ende des sehr ausführlichen Beschlusses festgehalten hat, dass der Gesetzgeber lediglich verpflichtet ist, ab dem Jahr 2019 eine gesetzliche Neuregelung zu treffen und nur für die Veranlagungszeiträume ab 2019 der § 233 a AO in der verfassungswidrigen aktuellen Fassung nicht mehr anwendbar ist.

Für die Veranlagungszeiträume 2014 bis 2018 soll es jedoch aus „fiskalischen Gründen“ bei der eigentlich verfassungswidrigen gesetzlichen Regelung des § 233a AO bleiben.

Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Steuerpflichtigen mit einer Erstattung verfassungswidrig erhobener Zinsen für diese Veranlagungszeiträume nicht mehr rechnen können, sondern dass es bei der bisherigen Verzinsung von 6 % bleibt. Dieses deutliche Entgegenkommen des BVerfG gegenüber dem Gesetzgeber ist vor dem Hintergrund der doch relativ deutlich formulierten Verfassungswidrigkeit in den entsprechenden Entscheidungen und Beschlüssen des Bundesfinanzhofes und der Finanzgerichte mehr als überraschend.

Vorteilhaft mag für einige wenige Steuerpflichtigen sein, dass sie nunmehr nicht mehr befürchten müssen, dass seitens der Finanzbehörden zu viel bezahlte Zinsen auf Steuererstattungen zurückgefordert werden, da auch die Höhe der Erstattungszinsen zugunsten des Steuerpflichtigen als verfassungswidrig angesehen wurden.

Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht in einem obiter dictum eher beiläufig festgehalten, dass die Verfassungswidrigkeit jedoch nicht die Höhe der Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235, 237 AO betrifft. Der Umstand, dass der Steuerpflichtige die Verwirklichung des Zinstatbestandes und damit die Entstehung von Zinsen durch seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung selber „verursacht“ hat bzw. im Falle der Hinterziehungszinsen die Entstehung der Zinsen jedenfalls von ihm bewusst in Kauf genommen wurde, rechtfertige, so das BVerfG, eine andere Bewertung im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes.

Im Ergebnis wurde zwar der gesetzliche Zinssatz als verfassungswidrig angesehen, einen Vorteil hieraus kann jedoch der Steuerpflichtiger entgegen der berechtigten und weit verbreiteten Erwartung jedoch nicht ziehen.

Christian Weber

Christian Weber

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für Steuerrecht