Arbeitsrecht

BAG: Ein Crowdworker kann Arbeitnehmer sein

- Achim Wurster

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 01.12.2020 - 9 AZR 102/20 erstmals Ausführungen zur arbeitsrechtlichen Stellung eines sog. Crowdworkers getätigt. Dabei kam das BAG zum Ergebnis, dass ein Crowdworker Arbeitnehmer sein kann. Bisher liegt lediglich die Pressemitteilung der Entscheidung vor. Diese gibt aber bereits Anlass, die Thematik näher zu beleuchten, da hier enorme Gefahren für Unternehmen lauern.

Begriff des Crowdworking

Crowdworking ist eine in letzter Zeit aufgetretene Form der Zusammenarbeit. Es ist eine Form von Arbeitsteilung, die durch die virtuellen Elemente der fortgeschrittenen Digtalisierung ermöglicht wird. Dabei zerlegt man die Arbeit in mehrere Einzelteile und sucht für diese Einzelteile Crowdworker, die diese Projekte in eigenem Arbeitsumfeld erledigen. In der Gesamtheit ergibt sich dann das fertige Projekt oder Produkt. Typische Berufsfelder hierfür sind z.B. Programmierer, Grafiker, Journalisten, Architekten oder Designer. Oft sind Crowdworker von der ganzen Welt aus tätig, weshalb sie auch den Spitznamen der "digitalen Nomaden" tragen.

Regelmäßig existiert eine Internetplattform, die den Crowdworkern Aufgaben und Projekte vermittelt. Es kann sich um komplexe Tätigkeiten oder aber um ganz profane Aufgaben wie das das Sammeln von Daten oder das Testen von Software handeln. Diese Art der Tätigkeit erfordert weder feste Arbeitszeiten noch einen festen Arbeitsort. Der Crowdworker kann zeitlich unabhängig arbeiten und muss auch nicht mit Kollegen zusammenarbeiten, weder räumlich noch persönlich.

Die Tätigkeit ist nach Auffassung der Beteiligten eine selbstständige Tätigkeit, sodass der Auftraggeber keine Beiträge zur Sozialversicherung abführt und sich auch an keine arbeitsrechtlichen Vorschriften halten muss. Denn der Crowdworker sei ja nicht weisungsgebunden tätig. Er könne Aufträge annehmen oder auch ablehnen und habe die freie Wahl, wann und wo er seine Leistung erbringt. Dafür erhält er dann ein vereinbartes Honorar.

Der Fall (Quelle: Pressemitteilung des BAG 43/20)

Die Beklagte kontrolliert im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen. Die Kontrolltätigkeiten selbst lässt sie durch Crowdworker ausführen. Deren Aufgabe besteht insbesondere darin, Fotos von der Warenpräsentation anzufertigen und Fragen zur Werbung von Produkten zu beantworten. Auf der Grundlage einer „Basis-Vereinbarung“ und allgemeiner Geschäftsbedingungen bietet die Beklagte die „Mikrojobs“ über eine Online-Plattform an. Über einen persönlich eingerichteten Account kann jeder Nutzer der Online-Plattform auf bestimmte Verkaufsstellen bezogene Aufträge annehmen, ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Übernimmt der Crowdworker einen Auftrag, muss er diesen regelmäßig binnen zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben des Crowdsourcers erledigen. Für erledigte Aufträge werden ihm auf seinem Nutzerkonto Erfahrungspunkte gutgeschrieben. Das System erhöht mit der Anzahl erledigter Aufträge das Level und gestattet die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge.

Der Kläger führte für die Beklagte zuletzt in einem Zeitraum von elf Monaten 2978 Aufträge aus, bevor sie im Februar 2018 mitteilte, ihm zur Vermeidung künftiger Unstimmigkeiten keine weiteren Aufträge mehr anzubieten. Mit seiner Klage hat er zunächst beantragt festzustellen, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Im Verlauf des Rechtsstreits kündigte die Beklagte am 24.06.2019 ein etwaig bestehendes Arbeitsverhältnis vorsorglich. Daraufhin hat der Kläger seine Klage, mit der er außerdem ua. Vergütungsansprüche verfolgt, um einen Kündigungsschutzantrag erweitert. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Sie haben das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses der Parteien verneint.

Die Entscheidung

Die Revision des Klägers hatte teilweise Erfolg. Das BAG hat festgestellt, dass der Kläger im Zeitpunkt der vorsorglichen Kündigung vom 24.06.2019 in einem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten stand.

Nach § 611a BGB ist Arbeitnehmer, wer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses, dass es sich hierbei um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.

Diese Gesamtwürdigung kann ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen sind. Dafür spricht, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann. So sah es das BAG im konkreten Fall. Der Kläger leistete in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Zwar sei er nicht verpflichtet gewesen, Angebote anzunehmen, das Portal sei aber darauf ausgerichtet gewesen, dass die Crowdworker regelmäßig Aufträge erhalten bzw. annehmen, um diese persönlich zu erledigen.

Das BAG hat den Rechtsstreit hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Vergütungsansprüche an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Die Klage gegen die Kündigung wies es dagegen ab, da die Kündigung das Arbeitsverhältnis wirksam beendet habe. Das Landesarbeitsgericht muss nun feststellen, ob und in welcher Höhe dem Kläger noch Vergütungsansprüche zustehen.

Bedeutung für die Praxis

Dieses Urteil hat entscheidende Bedeutung für die Praxis und die Vertragsgestaltung. Unternehmen müssen sorgfältig formulieren und darauf achten, dass ihre Crowdworkingmodelle in Wahrheit nicht als Arbeitsverhältnisse zu qualifizieren sind. Neben den arbeitsrechtlichen Folgen müssen Unternehmen hierbei insbesondere auch die sozialversicherungsrechtliche Seite im Blick haben, da aus einem Arbeitsverhältnis in der Regel ein Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinn folgt und daher – auch rückwirkend – Beiträge zur Sozialversicherung geschuldet sind.

Dies bedeutet insbesondere, dass die Unternehmen keine zu engen Vorgaben zur Erledigung des Auftrags machen sollten, ohne dass die hier realisierte Gefahr eintritt. Die Folgen sind mitunter gravierend: Urlaub, Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Urlaub, ggf. betriebliche Mitbestimmung, Sozialversicherungspflicht, um nur einige zu nennen.

Achim Wurster

Achim Wurster

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Sozialrecht
Zertifizierter Fachexperte für betriebliche Altersversorgung (BRBZ e.V.)