Arbeitsrecht

Bundesarbeitsgericht stellt klar: Der Arbeitnehmer hat die volle Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess

- Achim Wurster

Das Problem

In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist seit eh und je anerkannt, dass der Arbeitnehmer darlegen und ggf. beweisen muss, dass er Überstunden gemacht hat und der Arbeitgeber diese auch angeordnet, jedenfalls aber gebilligt hat. Dafür muss er konkret für jeden einzelnen Tag vortragen, von wann bis wann und was er gearbeitet hat.

Bekanntlich hatte der EuGH (vgl. hierzu unseren Beitrag vom 16.05.2019) ja entschieden, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer systematisch zu erfassen (Urteil vom 14.05.2019 - Az.: C-55/18). Nur so könne nach dem EuGH kontrolliert und durchgesetzt werden, dass die Arbeitszeitregeln eingehalten und der bezweckte Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet werde.

Vereinzelte Stimmen sahen darin eine unmittelbare Pflicht der Arbeitgeber, dieses Urteil umzusetzen. Bei Verstößen dagegen sollte dies eine Umkehr der Beweislast bedeuten, sodass der Arbeitgeber beweisen müsse, dass die geltend gemachten Überstunden gerade nicht angefallen seien.

Der Fall

Der Kläger war als Auslieferungsfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Seine Arbeitszeit erfasste der Kläger mittels technischer Zeitaufzeichnung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zugunsten des Klägers. Mit seiner Klage hat der Kläger Überstundenvergütung in Höhe von 5.222,67 € brutto verlangt. Er hat geltend gemacht, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen zu nehmen sei nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die Beklagte hat dies bestritten.

Das Arbeitsgericht Emden hat der Klage stattgegeben. Es hat gemeint, durch das Urteil des EuGH werde die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess modifiziert. Ausreichend für eine schlüssige Begründung der Klage sei, die Zahl der geleisteten Überstunden vorzutragen. Da die Beklagte ihrerseits nicht hinreichend konkret die Inanspruchnahme von Pausenzeiten durch den Kläger dargelegt habe, sei die Klage begründet.

Das LAG hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage – mit Ausnahme bereits von der Beklagten abgerechneter Überstunden – abgewiesen.

Die Entscheidung des BAG

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Revision des Klägers mit Urteil vom 04.05.2022 (5 AZR 359/21) zurückgewiesen.

Das BAG hat sich klar positioniert und festgestellt, dass vom Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer auch nicht vor dem Hintergrund der genannten Entscheidung des EuGH abzurücken ist. Das Urteil findet keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit hat deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess. Vor diesem Hintergrund blieb die Klage erfolglos, weil der Kläger nicht hinreichend konkret dargelegt hat, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Die bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genügt hierfür nicht.

Fazit

Das BAG hat wie schon das LAG die Entscheidung des Arbeitsgerichts Emden korrigiert. Es hat mit deutlichen Worten klargestellt, dass der Arbeitnehmer die Voraussetzungen darlegen und beweisen muss, wenn er Vergütung für Überstunden haben will. Damit hat das BAG erfreulicherweise all den Tendenzen eine Absage erteilt, die eine Erleichterung der Darlegung von Überstunden in dem Urteil des EuGH erkennen wollten. Dem ist gerade nicht so.

Achim Wurster

Achim Wurster

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Sozialrecht
Zertifizierter Fachexperte für betriebliche Altersversorgung (BRBZ e.V.)