Arbeitsrecht

Der neue Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer

- Achim Wurster

Die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers bedarf gem. § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Eine ohne diese Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist unheilbar nichtig und damit unwirksam.

Leise, still und heimlich hat der Gesetzgeber eine weitere Hürde für die Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer geschaffen. Wie bisher muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung beteiligen. War eine unterbliebene Beteiligung bisher aber folgenlos, normiert § 95 Abs. 2 SGB IX nunmehr: „Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam.“

Was bedeutet dies nun für Arbeitgeber, die beabsichtigen, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer zu kündigen?

1. Bisherige Rechtslage

Zwar musste der Arbeitgeber schon bislang die Schwerbehindertenvertretung bei allen Maßnahmen, die einen schwerbehinderten Menschen berühren, unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung beteiligen. Das umfasste auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Allerdings blieb eine unterlassene Beteiligung insoweit folgenlos, da die Wirksamkeit der Kündigung dadurch unberührt blieb.

2. Neue Regelung ab 1. Januar 2017

a) Grundsätzliches

Der Arbeitgeber muss bei jeder Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers die Schwerbehindertenvertretung beteiligen. Dies dürfte auch dann gelten, wenn die Kündigung ausnahmsweise nach §§ 85 ff. SGB IX nicht der Zustimmung des Integrationsamts bedarf. Denn die Ausnahmeregelung des § 90 SGB IX wird auf § 95 SGB IX nicht anwendbar sein, nachdem § 95 SGB IX nicht mehr zu den Vorschriften über den Kündigungsschutz zählt. Arbeitgeber werden daher gut daran tun, die Schwerbehindertenvertretung stets und rechtzeitig zu beteiligen.

Der Arbeitgeber muss die Schwerbehindertenvertretung aber nur beteiligen, wenn er die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers auch kennt oder diese offensichtlich ist. Teilt der Arbeitnehmer die Schwerbehinderung nach Zugang der Kündigung innerhalb von drei Wochen dem Arbeitgeber mit, wird dies zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, wenn der Arbeitgeber die Beteiligung unterlassen hat. Hier dürfte sich die Rechtsprechung des BAG zur Unwirksamkeit der Kündigung ohne Beteiligung des Integrationsamts übertragen lassen. 

Die Frage des Arbeitgebers also nach sechsmonatigem Bestand des Arbeitsverhältnisses, ob der Arbeitnehmer schwerbehindert ist, bleibt weiterhin zulässig. Verneint der Arbeitnehmer diese Frage wahrheitswidrig, darf er sich im Kündigungsschutzprozess auf seine Schwerbehinderteneigenschaft nicht Das gilt hier entsprechend: In einem solchen Fall bleibt es daher folgenlos, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung nicht vor Ausspruch der Kündigung beteiligt hat.

Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist zudem erforderlich, wenn der Arbeitnehmer den Antrag auf Anerkennung bzw. Gleichstellung mindestens drei Wochen vor dem Zugang der Kündigung gestellt hatte und der später erteilte Bescheid auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zurückreicht. Die Rechtsprechung des BAG hierzu ist auf die neue gesetzliche Regelung übertragbar. Wenn 

b) Voraussetzungen der Beteiligung

Der Arbeitgeber muss die Schwerbehindertenvertretung über die bevorstehende Kündigung zu unterrichten und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Es ist also kein echtes Mitwirkungs- bzw. Mitbestimmungsrecht wie z.B. die Anhörung des Betriebsrats.

Der Arbeitgeber muss die Schwerbehindertenvertretung so umfassend informieren, dass sie sich ohne weitere Nachforschungen ein eigenes Bild von der geplanten Kündigung machen kann. Die Schwerbehindertenvertretung hat dabei nicht die Aufgabe, die Wirksamkeit der Kündigung an sich zu prüfen. Vielmehr geht es darum, schwerbehinderte Menschen bei der Eingliederung in den Betrieb zu begleiten und zu unterstützen. 

Unabhängig davon sollten Arbeitgeber dennoch eine umfassende Unterrichtung vornehmen. Dies aus zwei Gesichtspunkten: zum einen muss der Arbeitgeber den Betriebsrat umfassend unterrichten und anhören; es empfiehlt sich, eine Kopie dieser Anhörung an die Schwerbehindertenvertretung zu übermitteln. Eine solche ordnungsgemäße Anhörung nach § 102 BetrVG erfüllt auch die Anforderungen des § 95 Abs. 2 SGB IX. Andererseits besteht dann auch nicht das Risiko, dass man dem Arbeitgeber in einem späteren Kündigungsschutzprozess möglicherweise vorwerfen könnte, dass die Schwerbehindertenvertretung ohne genaue Kenntnis dieses oder jenes Umstands nicht habe sicher abschätzen können, ob die Kündigung in einem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung steht. 

Problematisch ist, dass keine Äußerungsfrist der Schwerbehindertenvertretung vorgehsehen ist und daher nicht klar ist, wann die Beteiligung abgeschlossen und die Kündigung damit zulässig ist. Theoretisch könnte die Schwerbehindertenvertretung eine Kündigung beliebig lange verzögern, wenn sie keine Stellungnahme abgibt. Angesichts der Tatsache, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers in § 95 Abs. 2 SGB IX schwächer ist als die Anhörungspflicht in § 102 BetrVG, erscheint es wenig überzeugend, wenn die Schwerbehindertenvertretung eine längere Äußerungsfrist hätte als der Betriebsrat. Daher spricht viel dafür, hier die Wochenfrist des § 102 BetrVG analog heranzuziehen.

Bei einer fristlosen Kündigung muss die Stellungnahme gegenüber dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen erfolgen.

c) Verfahren

Der Arbeitgeber muss die Schwerbehindertenvertretung zwingend vor dem Zustimmungsantrag beim Integrationsamt beteiligen. Ansonsten ist der Zustimmungsantrag unwirksam.

Dagegen sind Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrats voneinander unabhängig Der Arbeitgeber kann frei entscheiden, ob er die Anhörung des Betriebsrats bereits vor der Antragstellung beim Integrationsamt durchführt oder ob er diese erst nach der Zustimmung des Integrationsamts vornimmt, was in der Regel sinnvoller ist. 

Bei einer geplanten fristlosen Kündigung empfiehlt sich dagegen wegen der Frist des § 626 Abs. 2 BGB eine parallele Anhörung von Schwerbehindertenvertretung und Betriebsrat.

d) Rechtsfolgen der fehlerhaften bzw. unterlassenen Beteiligung

Eine ohne ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochene Kündigung ist nichtig. Sie stellt auch eine Ordnungswidrigkeit dar.

Das Integrationsamt wird die Zustimmung zur Kündigung verweigern, wenn keine ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vorliegt. Eine – bisher mögliche – nachträgliche Durchführung der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist künftig nicht mehr möglich.

Zum Autor: 

Rechtsanwalt Achim Wurster ist Partner der Kanzlei Dr. Kroll & Partner Rechtsanwälte mbB. Er ist Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Sozialrecht sowie zertifizierter Fachexperte für betriebliche Altersversorgung (BRBZ e.V.). Achim Wurster berät und vertritt schwerpunktmäßig Unternehmen, Gemeinden und Vereine in allen Bereichen des Arbeitsrechts sowie des Sozialversicherungsrechts. 

Achim Wurster

Achim Wurster

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Sozialrecht
Zertifizierter Fachexperte für betriebliche Altersversorgung (BRBZ e.V.)