Arbeitsrecht

Die Vereinbarung von kumulativer Abrufarbeit als Flexibilisierungsinstrument

- Dr. Stefan Rein

Der Gesetzgeber gestattet ausdrücklich, dass die Arbeitsvertragsparteien vereinbaren können, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (sog. Arbeit auf Abruf). Soweit er dabei unter anderem die Vereinbarung einer bestimmten Arbeitszeitdauer verlangt (§ 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG), ist vom Bundesarbeitsgericht bereits klargestellt worden, dass hierbei lediglich die Vereinbarung einer Mindestdauer gemeint ist, sodass die Arbeitsvertragsparteien auch vereinbaren können, dass der Arbeitnehmer über eine vertragliche Mindestarbeitszeit hinaus noch Arbeit auf Abruf leisten muss. Dies ermöglicht dem Arbeitgeber, flexibel auf Auslastungsschwankungen „nach oben“ zu reagieren. Die Rechtsprechung gewährt diese arbeitgeberseitige Freiheit jedoch nicht grenzenlos.

Das gesetzliche Bestimmtheitsgebot: Kein weitergehendes Transparenzerfordernis neben der „Bedarfsbedingtheit“

Bei der Vereinbarung von Abrufarbeit im Rahmen eines Anstellungsvertrages bzw. eines auf einen solchen bezogenen Änderungsvertrages handelt es sich regelmäßig um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, die einer besonderen Inhaltskontrolle nach Maßgabe der §§ 305 ff. BGB unterliegt. Vertragsklauseln, die den diesbezüglichen gesetzlichen Maßstäben nicht genügen, sind unwirksam. Die Unwirksamkeit kann sich dabei schon daraus ergeben, dass die Vereinbarung nicht klar und verständlich ist (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Um das Bestimmtheitsgebot zu erfüllen, bedarf es daher – wie beispielsweise auch bei der Vereinbarung einer Überstundenpauschalierungsabrede – der Festlegung eines maximalen Arbeitszeitumfangs, welcher – zusätzlich – vom Arbeitnehmer entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen ist. Der Angabe eines konkreten Ausübungsgrundes soll es hingegen nicht bedürfen: Der „bedarfsbedingte Hintergrund“ ergebe sich bereits „aus der Sache heraus“.

Das gesetzliche Benachteiligungsverbot: Die zu wahrende Relation zwischen vertraglicher Mindestarbeitszeit und zusätzlich abrufbarer Arbeitszeit

Eine Vertragsklausel ist des Weiteren unwirksam, wenn sie den Arbeitnehmer „entgegen den Geboten von Treu und Glauben“ unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Mit einer Vereinbarung, die vertraglich vereinbarte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit einseitig verlängern zu können, wird ein Teil des an sich allein den Arbeitgeber treffenden Wirtschaftsrisikos auf den Arbeitnehmer verlagert. Denn grundsätzlich trägt allein der Arbeitgeber das Risiko, den Arbeitnehmer nicht beschäftigen zu können. Kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen Auftragsmangels nicht beschäftigen, wird er dementsprechend gleichwohl nicht von seiner Gegenleistungspflicht, seiner Vergütungspflicht, befreit. Er bleibt vielmehr zur Entgeltzahlung verpflichtet.

Diese partielle Risikoverlagerung, welche mit der Vereinbarung einer kumulativen Abrufarbeit einhergeht, bedeutet aber als solche noch nicht zwingend eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers. Diese Frage ist vielmehr – wie so oft – auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung der berechtigten Interessen der Beteiligten zu beantworten. So hat der Arbeitgeber – auch nach Ansicht der Erfurter Bundesrichter – „ein berechtigtes Interesse an einer gewissen Flexibilität der Arbeitsbedingungen“. Andererseits sei zu berücksichtigen, dass wiederum der Arbeitnehmer „ein berechtigtes Interesse an einer fest vereinbarten Dauer der Arbeitszeit“ hat, was ihm letztlich auch eine finanzielle Planungssicherheit gewährt. Nach nicht näher begründeter Auffassung des Bundesarbeitsgerichts soll dann ein angemessener Ausgleich zwischen diesen beiden sich entgegenstehenden Interessen bestehen, wenn die vom Arbeitgeber abrufbare, über die vereinbarte Mindestarbeitszeit hinausgehende Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht mehr als 25 % der vereinbarten wöchentlichen Mindestarbeitszeit beträgt.

Das Verhältnis zur Mehrarbeit (Anordnung von Überstunden): Beides ist nebeneinander möglich!

Das Bundesarbeitsgericht stellt zudem klar, dass, soweit die Voraussetzungen für die Anordnung von Überstunden vorliegen, die Arbeitszeit im Bedarfsfall sogar noch weiter – bis zum Erreichen der gesetzlichen Höchstgrenze von (vorübergehend) werktäglich zehn Stunden bzw. (durchschnittlich) 48 Wochenstunden – verlängert werden kann. Die Abgrenzung zwischen Mehrarbeit (Überstunden) und zusätzlich zur vertraglich vereinbarten Mindestarbeitszeit zu leistender Abrufarbeit ist dabei allerdings nicht ganz einfach: Bei der „nicht auf Unregelmäßigkeit oder Dringlichkeit beschränkten“ Verpflichtung, auf Anforderung des Arbeitgebers zu arbeiten, soll es sich um Abrufarbeit handeln, bei einer entsprechenden Verpflichtung „wegen bestimmter besonderer Umstände“ handele es sich um Mehrarbeit (BAG 07.12.2005 – 5 AZR 535/04).

Der konkrete Abruf: Ausübungskontrolle nach „bestandener“ Inhaltskontrolle

Ist die Vereinbarung von Abrufarbeit wirksam getroffen worden, kann der einzelne Abruf – wie jede arbeitgeberseitige Weisung – nur „nach billigem Ermessen“ erfolgen, d.h. auch bei der konkreten Rechtsausübung sind nochmals die beiderseitigen Interessen, nun aber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und zu bewerten. Eine gesetzliche Konkretisierung hat diese Ausübungskontrolle insoweit erfahren, als § 12 Abs. 2 TzBfG bestimmt, dass der Arbeitnehmer nur dann zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt.

Doppelte Mitbestimmungspflichtigkeit

Sofern im Betrieb ein Betriebsrat besteht, ist dieser sowohl im Hinblick auf die generelle Einführung und Ausgestaltung dieses flexiblen Arbeitszeitmodells als auch bei jedem – jeweils eine vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) darstellenden – Abruf zu beteiligen.

Fazit

Die Aufteilung der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Arbeitsleistung in einen fixen Mindestanteil und einen zusätzlichen, bedarfsorientierten Anteil ermöglicht mehr Flexibilität. Anders als auch einen negativen Arbeitszeitsaldo ausweisen könnende Arbeitszeitkonten vermag dieses Arbeitszeitmodell freilich ausschließlich Auslastungsschwankungen „nach oben“ abzudecken. Tatsächlich abgerufene Stunden sind dabei vollumfänglich zu vergüten.

Dr. Stefan Rein

Dr. Stefan Rein

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht