Arbeitsrecht

Erste Entscheidungen zum Mindestlohngesetz

- Achim Wurster

Seit 1. Januar 2015 gilt bekanntlich das Mindestlohngesetz (MiLoG), das jedem Arbeitnehmer in Deutschland einen Vergütungsanspruch in Höhe von 8,50 € je Zeitstunde zusichert. Das Gesetz ist in vielen Fällen äußerst unglücklich und ungenau formuliert, so dass sich bereits in den Monaten vor Inkrafttreten umfangreiche Diskussionen in der arbeitsrechtlichen Literatur entwickelt haben.

Leider hat der Gesetzgeber hierauf bisher nicht reagiert, sondern scheint es – wieder einmal – den Arbeitsgerichten zu überlassen, wie einzelne Passagen des MiLoG auszulegen sind und den vielen unbestimmten Rechtsbegriffen Leben einzuhauchen. Mittlerweile sind erste Entscheidungen bekannt, die gewisse Tendenzen erkennen lassen.

Änderungskündigung wegen MiLoG unzulässig

Keine Anrechnung von Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld

Das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 04.03.2015 – 54 Ca 14420/14) hatte über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung zu entscheiden, die der Arbeitgeber aussprach. Hintergrund war, dass der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer eine Änderungskündigung aussprach, mit der er versuchte, bisherige vertraglich zugesicherte Sonderzahlungen umzuwandeln, um damit den Anspruch des Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindestlohn zu erfüllen. Bisher erhielt der Arbeitnehmer eine Vergütung unter 8,50 € brutto je Stunde zzgl. der Sonderzahlung. Der Arbeitgeber wollte mit der Änderungskündigung die Sonderzahlung streichen und auf den Stundenlohn umrechnen.

Das Arbeitsgericht Berlin kommt mit einer ausführlichen Begründung zum Ergebnis, dass eine Sonderzahlung wie Urlaubsgeld oder Weihnachtsgeld nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden kann. Das Arbeitsgericht argumentiert damit, dass solche Zahlungen nicht in einem Verhältnis zur erbrachten Arbeitsleistung stehen, sondern erkennbar dem Zweck, die Betriebstreue zu belohnen und zu fördern, dienen.

Das Arbeitsgericht Berlin schließt daraus: „Fehlt es an der Anrechenbarkeit der anderweitigen Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn, sind alle Handlungen, die darauf gerichtet sind, gleichwohl eine Anrechnung zu erreichen, objektiv als Umgehung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs und damit als unzulässig anzusehen. Sie dienen letztlich dazu, den Anspruch auf den Mindestlohnstundensatz in Höhe von derzeit 8,50 € zu unterschreiten. Die von der Beklagten ausgesprochene Änderungskündigung ist damit bereits aus diesem Grund unzulässig. Sie ist zudem geeignet, den betroffenen Arbeitnehmer aus Angst vor einem Arbeitsplatzverlust von der Durchsetzung seiner Ansprüche auf Mindestlohn abzuhalten und die angebotenen Änderungen der Arbeitsbedingungen schon aus diesem Grund, unter Umständen vorbehaltlos zu akzeptieren.“

Damit ist klar, dass Versuche, bisherige Sonderzahlungen auf den regulären Lohn umzulegen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sein dürften. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig, wir werden die weitere Entwicklung selbstverständlich beobachten und Sie aktuell informieren.

Ein Leistungsbonus kann auf den Mindestlohn anrechenbar sein

Das Arbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 20.04.2015 - 5 Ca 1675/15) hat entschieden, dass eine neben einem Grundlohn von 8,10 € je Zeitstunde gezahlter Leistungsbonus in Höhe von bis zu 1,00 € je Zeitstunde den Anspruch auf den Mindestlohn erfüllen kann.

Der Gesetzeswortlaut von § 1 Absatz 2 Satz 1 MiLoG bezieht sich auf die Zeitstunde, so dass Monatsvergütungen umzurechnen sind. Anhaltspunkte dafür, dass der Mindestlohn je Zeitstunde gem. § 1 Absatz 2 Satz 1 MiLoG nur den Grundlohn erfassen soll, lassen sich aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht herleiten. Vom Sinn und Zweck des Gesetzes sind jedoch auch andere Vergütungsbestandteile als der monatliche Grundlohn als Mindestlohnbestandteil relevant. Bei dieser Zwecksetzung besteht aber kein Grund, Arbeitnehmern, die in der Summe oberhalb des Mindestlohns von 8,50 € für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde verdienen, einen „Aufstockungsanspruch“ für einzelne Lohnbestandteile zu geben.

Wenn der konkrete Leistungsbonus des Arbeitnehmers Entgeltcharakter hat und einen unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleitung aufweist, kann er auf den Mindestlohn angerechnet werden, so das Arbeitsgericht Düsseldorf.

Solange der im Kalendermonat gezahlte Bruttoarbeitslohn inklusive Leistungsbonus dividiert durch die Anzahl der in diesem Monat geleisteten Arbeitsstunden 8,50 € erreicht, wird der gesetzliche Mindestlohn gem. § 1 Absatz 2 Satz 1 MiLoG nicht unterschritten. Garantiert also der Arbeitgeber einen Leistungsbonus mindestens in der Höhe, dass in Summe 8,50 € je Zeitstunde erreicht werden, ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf den Mindestlohn erfüllt.

Diese Entscheidung ist äußerst erfreulich, stellt sie doch überzeugend klar, dass nicht nur der Grundlohn bei der Ermittlung des Mindestlohns zu berücksichtigen ist. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig, wir werden die weitere Entwicklung selbstverständlich beobachten und Sie aktuell informieren.

Keine zusätzliche Vergütung für Bereitschaftszeiten im öffentlichen Dienst

Das Arbeitsgericht Aachen (Urteil vom 21.04.2015 – 1 Ca 448/15 H) hat entschieden, dass es auch nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes gibt es keinen über den tarifvertraglichen Vergütungsanspruch hinausgehenden zusätzlichen gesetzlichen Vergütungsanspruch für Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst gibt. Die tarifvertraglichen Vergütungsregelungen im TVöD-V zu Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst sind auch nach Inkrafttreten des MiLoG weiterhin gesetzeskonform.

Hintergrund war, dass Bereitschaftszeiten im Rahmen des TVöD grundsätzlich (über eine konkrete und ausführliche Regelung im Tarifvertrag) mit der tarifvertraglichen Vergütung erfasst waren. Ein Arbeitnehmer war der Auffassung, dass ihm für diese Bereitschaftszeiten ein zusätzlicher Vergütungsanspruch in Höhe von 8,50 € brutto je Stunde Bereitschaftsdienst zustand.

Das Arbeitsgericht Aachen hat diesen Anspruch verneint und ausgeführt, dass die Sonderregelungen zu Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst mit dem MiLoG vereinbar sind. Solange die gezahlte Grundvergütung selbst die theoretisch denkbare Höchstarbeitszeit von 48 Stunden in der Woche mit einem umgerechneten Stundenlohn von über 8,50 € je Zeitstunde umfasst, begegnet eine entsprechende tarifvertragliche Regelung nach Auffassung des Arbeitsgerichts Aachen keinen rechtlichen Bedenken im Hinblick auf das MiLoG.

Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig, wir werden die weitere Entwicklung selbstverständlich beobachten und Sie aktuell informieren.

Maßregelungsverbot bei Forderung nach Mindestlohn

Das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 17.04.2015 – 28 Ca 2405/15) stellte klar, dass ein Kleinbetrieb i.S.d. § 23 KSchG (weniger als 10 regelmäßig beschäftigte Arbeitnehmer) auf die Forderung des Arbeitnehmers auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nicht mit einer Kündigung reagieren darf.

Beantwortet der Arbeitgeber eines Kleinstbetriebes den Wunsch eines seit rund sechs Jahren bei 5,19 € (brutto) pro Stunde und wöchentlich 14 Arbeitsstunden beschäftigten Hauswartes nach Bezahlung des "Mindestlohns" mit einer Kündigung, so ist durch das objektive Geschehen ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB indiziert und die Kündigung damit unwirksam.

Dem Arbeitgeber hilft auch nicht der pauschale Einwand, er habe unlängst festgestellt, dass der Hauswart für seinen Aufgabenbereich anstelle der vertraglich vereinbarten 14 Arbeitsstunden pro Woche auch mit 32 Stunden pro Monat auskomme, und sich deshalb die Kündigung selber zuzuschreiben habe, weil er sich weigere, einen entsprechend geänderten Arbeitsvertrag (mit praktisch gleicher Endvergütung: 325,00 € statt bisher 315,00 €) abzuschließen.

Aus dieser Entscheidung ist zu entnehmen, dass bei Forderungen des Arbeitnehmers nach einer Bezahlung des „Mindestlohns“ Vorsicht geboten ist und Schnellschüsse regelmäßig nach hinten losgehen. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig, wir werden die weitere Entwicklung selbstverständlich beobachten und Sie aktuell informieren.

Rechtsanwalt Achim Wurster berät und vertritt schwerpunktmäßig große und kleine Unternehmen in allen Bereichen des Arbeitsrechts, insbesondere auch im Bereich der Entgeltgestaltung im Hinblick auf das MiLoG.

Achim Wurster

Achim Wurster

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Sozialrecht
Zertifizierter Fachexperte für betriebliche Altersversorgung (BRBZ e.V.)