Erbrecht

Gesetzliche Erbfolge der Verwandten

- Armin Abele

gesetzlicher Erbteil der Blutsverwandten

Wenn ein Erblasser die Erbfolge nicht regelt, also z. B. kein Testament errichtet, bedeutet dies nicht, dass es keine Erben gibt. In diesem Fall bestimmt das Gesetz, wer Erbe wird. Dies wird gesetzliche Erbfolge genannt.

Will ein Erblasser nicht von der gesetzlichen Erbfolge abweichen und ansonsten auch keine Anordnungen wie Vermächtnisse, Auflagen, Teilungsanordnungen u. ä. treffen, macht die Errichtung eines Testaments keinen Sinn. Nur wenn er die gesetzliche Erbfolge kennt, kann er also prüfen, ob die Errichtung eines Testaments notwendig ist.

Die gesetzliche Erbfolge ist außerdem bei der Bestimmung von Pflichtteilsansprüchen von großer Bedeutung, da der Pflichtteilsanspruch wertmäßig die Hälfte des gesetzlichen Erbteils des enterbten Pflichtteilsberechtigten beträgt. Ohne die Kenntnis der gesetzlichen Erbfolge lässt sich die Höhe des Pflichtteilsanspruches nicht berechnen.

Gesetzliches Erbrecht der Verwandten

Die gesetzliche Erbfolge beruht auf dem Grundsatz, dass sich das Vermögen des Erblassers in der Familie weitervererben soll. Zu den gesetzlichen Erben sind daher vom Grundsatz nur Blutsverwandte des Erblassers vorgesehen (eine Ausnahme besteht jedoch bei adoptierten Kindern). Dabei sollen nicht alle Verwandten gleichermaßen erben. Vielmehr bestimmt das Gesetz eine bestimmte Rangfolge, die sogenannten Ordnungen. Mit anderen Worten normiert das Gesetz verschiedene Erbklassen. Die Verwandten einer näheren Ordnung schließen die Verwandten einer entfernteren Ordnung von der Erbschaft aus (vgl. § 1930 BGB). Es gibt folgende Ordnungen:

  • Erben der ersten Ordnung sind Abkömmlinge des Erblassers, § 1924 BGB (z.B. eheliche und nichteheliche Kinder, Enkel, Urenkel, aber auch adoptierte Kinder)
  • Erben der zweiten Ordnung sind die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, § 1925 BGB (z.B. Eltern, Geschwister, Neffen und Nichten)
  • Erben der dritten Ordnung sind die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, § 1926 BGB ( z.B. Großeltern, Onkel, Tanten, Cousinen oder Cousins)
  • Erben der vierten Ordnung sind die Urgroßeltern und deren Abkömmlinge, § 1927 BGB (z.B. Urgroßeltern, Großonkel, Großtante)

Das Ordnungssystem kann gedanklich unbegrenzt fortgeführt werden (z.B. Erben 9. Ordnung usw.). Innerhalb der 1. bis 3. Ordnung gilt das sogenannte Stammesprinzip. D.h. die Erbfolge wird nicht nach Anzahl der vorhandenen Verwandten in der Ordnung, sondern nach Stämmen geregelt. Jedes Kind des Erblassers begründet seinen eigenen Stamm. Jeder Stamm erhält dabei die gleiche Erbquote. War ein Stamm zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers ausgestorben, wächst sein Anteil den übrigen Stämmen an.

Beispiel: Erblasser E hat drei Kinder. Eines der Kinder verstirbt vor E und ist kinderlos. Nach dem Tode des Erblassers beerben die beiden übrigen Kinder den E je zur Hälfte.

Innerhalb der Stämme gilt das sogenannte Repräsentationsprinzip. Der mit dem Erblasser näher verwandte Abkömmling schließt die entfernteren Abkömmlinge – also seine Kinder und Kindeskinder – von der Erbfolge aus, da er seinen Stamm repräsentiert.

Beispiel: Wie der zuvor genannte Beispielsfall, nur dass eines der zum Zeitpunkt des Todes des E lebenden Kinder seinerseits zwei Kinder hat. Auch hier erben nur die beiden Kinder des E und zwar jeweils zur Hälfte. Die Enkel des E erben nichts.

Ab der 2. Ordnung gilt zusätzlich das Linienprinzip. Vater und Mutter des Erblassers bilden mit ihren Abkömmlingen je eine Linie, also eine Linie des Vaters und eine der Mutter. Auch innerhalb der Linie gilt das Repräsentationsprinzip.

Beispiel: Erblasser E verstirbt kinderlos. Sein Vater ist bereits vorverstorben, hat aber 2 weitere Abkömmlinge. Die Mutter des E lebt hingegen noch. Erben werden die Mutter zur Hälfte und die Geschwister des E je zu ¼.

Ab der 4. Ordnung wird das Erbrecht nach Stämmen zugunsten des sogenannten Gradualsystems aufgegeben, um eine zu große Zersplitterung des Nachlasses zu verhindern. Bei gesetzlicher Erbfolge der Urgroßelternverwandtschaft erben nur die Verwandten, die mit dem Erblasser dem Grade nach am nächsten verwandt sind (§ 1928 Abs. 3 BGB).

Beispiel: Der Sohn der Urgroßeltern des Erblassers schließt alle deren Enkel von der Erbfolge aus.

Zur Veranschaulichung der gesetzlichen Erbfolge unter Verwandten sollen folgende weitere Beispielsfälle dienen:

Beispielsfall 1

Die verwitwete Erblasserin E ist verstorben. Zum Zeitpunkt des Todes leben noch ihr Vater V, sowie ihre Tochter T, die einen nichtehelichen Sohn hat. Außerdem hatte die E noch einen Sohn S, der bereits vorverstorben ist und seine Frau F und seine Kinder K1 und K2 hinterlässt.

Die Abkömmlinge T und S sind Erben 1. Ordnung und haben jeweils einen eigenen Stamm begründet. Da S bereits vorverstorben war, treten seine Abkömmlinge, also K1 und K2 an seine Stelle. Gesetzliche Erben der E sind daher die T zur Hälfte und K1 und K2 jeweils zu ¼. Der nichteheliche Sohn von T erhält nichts, da der Stamm von T repräsentiert wird. Der Vater V als Erbe 2. Ordnung erhält ebenfalls nichts, da Erben 1. Ordnung vorhanden sind. F, die Frau von S, erbt ebenfalls nichts, da sie nur mit der Erblasserin verschwägert, nicht aber verwandt ist.

Beispielsfall 2

E verstirbt kinderlos. Sein Vater ist bereits vorverstorben. Seine Mutter M lebt noch. Außerdem lebt noch sein Bruder B und seine Schwester S, die beide Kinder seines vorverstorbenen Vaters sind.

Die Mutter erbt die Hälfte des Nachlasses. Die Geschwister erben je ¼ und erben also den auf diese Linie entfallenden Erbteil von ½.

Beispielsfall 3

Der verwitwete E stirbt und hinterlässt seine Tochter T. Außerdem lebt noch sein Bruder B.

T wird Alleinerbin. Sie ist Erbin 1. Ordnung, weswegen B, der Erbe 2. Ordnung ist, nichts erbt.

Stand: Januar 2008

Armin Abele

Armin Abele

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht