Arbeitsrecht

Mindestlohnpflicht auch für vergütungspflichtige Zeiten ohne (Voll-) Arbeitserbringung

- Dr. Stefan Rein

Seit Jahresbeginn hat bekanntlich jeder Arbeitnehmer kraft Gesetzes Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns in Höhe von (derzeit) 8,50 Euro brutto. Gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist dabei, ob ihm der Mindestlohn auch für Zeiten zusteht, in denen er keine sog. Vollarbeit erbringt, sondern lediglich Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst zu leisten hat. Ebenso wenig ist gesetzlich ausdrücklich geregelt, ob dieser auch dann zu zahlen ist, wenn dem Arbeitnehmer ein Vergütungsanspruch zusteht, obwohl er gar keine Arbeit geleistet hat, also beispielsweise für Urlaubs- oder Krankheitszeiten. Das Bundesarbeitsgericht sorgte hierzu nun für Klarheit, auch wenn es sich dabei noch gar nicht mit den neuen gesetzlichen Bestimmungen auseinanderzusetzen hatte.

Mindestlohnpflicht auch für Zeiten bloßer Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienstzeiten

Das Gesetz knüpft den Mindestlohnanspruch an die „Zeitstunde“ an. Was hierunter zu verstehen ist, verrät das Gesetz indessen nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich. Dementsprechend konnte hierzu durchaus auch die Auffassung vertreten werden, dass Zeiten, in denen keine Vollarbeit, sondern lediglich Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst erbracht wird, nur dann mindestlohnpflichtig seien, soweit diese überhaupt „wie Arbeitszeit“ zu vergüten seien, was „sich primär nach dem Arbeitsvertrag bzw. einschlägigen Tarifvertrag [richten]“ würde. Damit wäre es letztlich den (Tarif-) Vertragsparteien selbst überlassen, ob bzw. inwieweit solche Arbeitsformen mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten sind.

Das Bundesarbeitsgericht kam in seiner noch zur (zwischenzeitlich außer Kraft getretenen) Pflegearbeitsbedingungenverordnung (PflegeArbbV) ergangenen Entscheidung vom 19. November 2014 (5 AZR 1101/12) jedoch zu dem Ergebnis, dass auch für diese „Sonderformen der Arbeit“ das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV zu zahlen (gewesen) sei, da der Verordnungsgeber gerade keine gesonderte Vergütungsregelung für diese „Sonderformen“ getroffen habe, obwohl er hierzu grundsätzlich die Möglichkeit gehabt hätte. Nach § 2 PflegeArbbV bezog sich das zu zahlende Mindestentgelt – pauschal – auf jede „Stunde“. Ob hiervon arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich abgewichen werden sollte, sei unerheblich; eine solche Regelung wäre wegen Verstoßes gegen die (unabdingbaren) Bestimmungen der Pflegearbeitsbedingungenverordnung ohnehin unwirksam. Das Bundesarbeitsgericht teilt mithin gerade nicht die Rechtsansicht, welche es den (Tarif-) Vertragsparteien überlassen würde, welche Arbeitszeitform mindestlohnpflichtig sein soll oder nicht. Diese Entscheidung könne allein der Verordnungs- bzw. Gesetzgeber treffen.

Entsprechend verhält es sich nun auch bei den Bestimmungen des Mindestlohngesetzes (MiLoG): „Die Höhe des Mindestlohns beträgt […] brutto 8,50 Euro je Zeitstunde“ (§ 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG). Im Mindestlohngesetz gibt es mithin – weder hier noch an anderer Stelle – ebenfalls keine Differenzierung zwischen den verschiedenen Arbeitszeitformen (Vollarbeit, Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst), es knüpft vielmehr ebenso pauschal an die „Zeitstunde“ an. Und Ausnahmen hiervon lässt auch das Mindestlohngesetz nicht zu: Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sollen vielmehr insoweit unwirksam sein (§ 3 Satz 1 MiLoG). Die noch zur Pflegearbeitsbedingungenverordnung ergangene Rechtsprechung kann dementsprechend auf die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen zum Mindestlohn 1:1 übertragen werden: Nicht nur jede „Zeitstunde“ Vollarbeit, sondern auch jede „Zeitstunde“ Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst sind somit mit mindestens 8,50 Euro brutto zu vergüten. Ausgenommen ist allein die Rufbereitschaft, die aber auch gesetzlich schon gar nicht als Arbeitszeit gewertet wird.

Mindestlohnpflicht auch bei gesetzlicher Entgeltfortzahlungspflicht

Ebenso umstritten war die Frage, ob der Mindestlohn auch für Zeiten zu gewähren ist, in denen gar keine Arbeitsleistung erbracht wurde, für die aber aufgrund gesetzlicher Ausnahmevorschriften gleichwohl ein Vergütungs- bzw. Entgeltfortzahlungsanspruch besteht, also insbesondere während des bezahlten Erholungsurlaubs oder an gesetzlichen Feiertagen oder bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit. Das Argument, das gegen eine auch diesbezügliche Mindestlohnpflicht sprach, war indes ein äußerst schwaches: Die gesetzlichen Fälligkeitsregelungen stellen (u.a.) auf einen Zeitpunkt ab, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG). Und „erbracht werden“ könne freilich nur tatsächlich geleistete Arbeit, weswegen für die Zeiten, für die ausnahmsweise der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn!“ durchbrochen wird, auch kein Anspruch auf eine Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns bestehen könne, wenn an sich eine geringere Vergütung (tarif-) vertraglich vereinbart ist.

Diese Argumentation lässt aber die gesetzliche Systematik für die Berechnung der diesbezüglichen Vergütungs- bzw. Entgeltfortzahlungsansprüche außer Betracht. Denn nach den Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes hat der Arbeitgeber für Arbeitszeit, die aufgrund eines gesetzlichen Feiertags oder wegen Arbeitsunfähigkeit ausfällt, dem Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte. Und die Höhe des Urlaubsentgelts bestimmt sich nach der durchschnittlichen Vergütung der letzten dreizehn Wochen. Das Bundesarbeitsgericht sah sich daher nunmehr in seiner Entscheidung vom 13. Mai 2015 (10 AZR 191/14) zu der Klarstellung veranlasst, dass diese Berechnungsregelungen auch dann Anwendung finden, wenn sich die Höhe des Arbeitsentgelts nach einer Mindestlohnregelung richtet, die – wie in jenem zu entscheiden gewesenen Fall der für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag zur Regelung des Mindestlohns für pädagogisches Personal oder aber eben auch das Mindestlohngesetz – keine (eigenen) Bestimmungen zur Entgeltfortzahlung und zum Urlaubsentgelt enthält: „Ein Rückgriff des Arbeitgebers auf eine vertraglich vereinbarte niedrigere Vergütung ist in diesen Fällen deshalb unzulässig.“

Dr. Stefan Rein

Dr. Stefan Rein

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht