Arbeitsrecht

Rechtsprechungsänderung: Ausschluss von Doppelurlaubsansprüchen nach Wechsel des Arbeitsverhältnisses im laufenden Kalenderjahr

- Dr. Stefan Rein

Das Bundesarbeitsgericht hat seine bisherige – jahrzehntealte – Rechtsprechung zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs beim neuen Arbeitgeber infolge eines Wechsels des Arbeitsverhältnisses im laufenden Kalenderjahr aufgegeben: Musste bisher der neue Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer entgegenhalten können, dass bzw. in welchem Umfang diesem bereits Urlaub von seinem früheren Arbeitgeber gewährt worden ist, welcher auf den bei ihm entstehenden Urlaubsanspruch anzurechnen ist, obliegt es nunmehr dem Arbeitnehmer darzulegen (und gegebenenfalls zu beweisen), dass die Voraussetzungen, unter denen das Gesetz eine Anrechnung bereits gewährten Urlaubs vorsieht, nicht vorliegen.

Die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 09.10.1969 – 5 AZR 501/68): Die Regelung des § 6 Abs. 1 BUrlG noch als rechtshindernde Einwendung (für den neuen Arbeitgeber)

Nach § 6 Abs. 1 BurlG besteht der (neue) Anspruch auf Urlaub nicht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist. Bei aufeinanderfolgenden Arbeitsverhältnissen soll damit der Anspruch im neuen Arbeitsverhältnis ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, wenn Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers bereits im früheren Arbeitsverhältnis erfüllt worden sind und auch im neuen Arbeitsverhältnis kein Anspruch auf eine höhere Anzahl von Urlaubstagen als im früheren Arbeitsverhältnis entsteht.

Bislang wurde vom Bundesarbeitsgericht hierzu die Auffassung vertreten, dass es sich hierbei um eine rechtshindernde Einwendung handelt, die der Arbeitgeber dem Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers entgegensetzen muss. Dadurch wurde dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast aufgebürdet, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des ihn begünstigenden Anrechnungstatbestands vorliegen. Da es sich hierbei aber sämtlich um Tatsachen handelt, die „außerhalb der Sphäre des neuen Arbeitgebers“ liegen, belastete man ihn mit der Obliegenheit, Umstände, von denen er in aller Regel keine Kenntnis hat, vorzutragen und im Streitfall unter Beweis zu stellen, was ihn letztlich aber faktisch zu Behauptungen „ins Blaue hinein“ zwang, was wiederum mit dem von ihm an sich prozessual verlangten schlüssigen Tatsachenvortrag gar nicht zu vereinbaren ist.

Die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Dezember 2014 (9 AZR 295/13): Die Regelung des § 6 Abs. 1 BUrlG als negative Anspruchsvoraussetzung (für den Arbeitnehmer)

Diese Kritik an der von ihr bislang vertretenen Ansicht nahm das Bundesarbeitsgericht an. Es schließt sich nunmehr der Rechtsauffassung an, welche in der Regelung des § 6 Abs. 1 BurlG schon jeher eine negative Anspruchsvoraussetzung gesehen hat: Demnach obliegt es dem Arbeitnehmer als Gläubiger des Urlaubsanspruchs darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die Voraussetzungen, unter denen § 6 Abs. 1 BurlG eine Anrechnung bereits gewährten Urlaubs vorsieht, nicht vorliegen. Bestreitet sodann der Arbeitgeber den Vortrag des Arbeitnehmers – gegebenenfalls mit Nichtwissen –, hat der Arbeitnehmer seine Darlegungen zu substantiieren. Stellt der Arbeitgeber diesen weiteren Vortrag in Abrede, hat der Arbeitnehmer für seine Angaben Beweis anzubieten. Neben anderen Beweismitteln kommt hierbei insbesondere die – hierfür gerade auch vorgesehene und ihm von seinem früheren Arbeitgeber auch auszuhändigende – Urlaubsbescheinigung gemäß § 6 Abs. 2 BurlG in Betracht.

Letztlich konnte aber auch nach der bisherigen Ansicht des Bundesarbeitsgerichts der Arbeitgeber bis zur Vorlage der Urlaubsbescheinigung die Erfüllung des bei ihm entstehenden Urlaubsanspruchs mit der Begründung verweigern, der Arbeitnehmer habe bereits den vollen Urlaub für das Kalenderjahr erhalten; in einem Prozess hatte dann aber eben der Arbeitgeber seine – regelmäßig bereits unsubstantiierte (s.o.) – Behauptung zu beweisen. Nach neuer – nunmehr maßgeblicher – Auffassung ist der Anspruch bis dahin – zumindest im Bestreitensfall – aber noch nicht einmal entstanden. Dass er gegeben sein soll, muss dann der Arbeitnehmer beweisen (können).

Dr. Stefan Rein

Dr. Stefan Rein

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht