Arbeitsrecht

Rechtsprechungsänderung: Keine Kürzung des Erholungsurlaubs wegen Elternzeit erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

- Dr. Stefan Rein

Endet das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit oder wird es im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt, so hat der Arbeitgeber den noch nicht gewährten Urlaub abzugelten. Der Arbeitgeber darf indes den Urlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen. Diese Kürzungsmöglichkeit soll dem Arbeitgeber jedoch nicht mehr nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, also beispielsweise im Zusammenhang mit dem Abgeltungsverlangen des Arbeitnehmers zustehen. Dies entschied nun das Bundesarbeitsgericht und gab damit seine bisherige Rechtsprechung hierzu auf. Allein der vorausschauend handelnde Arbeitgeber verliert deshalb zukünftig nicht sein Kürzungsrecht.

Rechtsprechungsänderung als logische Folge der Aufgabe der Surrogatstheorie

17 Abs. 1 Satz 1 BEEG räumt dem Arbeitgeber die Möglichkeit ein, den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen. Eine zeitliche Begrenzung für die Ausübung dieses Rechts – durch eine entsprechende Kürzungserklärung – gab es bislang nicht. Das Bundesarbeitsgericht stellte noch in seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. BAG 28.07.1992 – 9 AZR 340/91) hierzu vielmehr klar: „Ist es möglich, den Erholungsurlaub nach § 17 Abs. 1 BEEG zu kürzen, kann der Arbeitgeber ebenso das Surrogat des Urlaubs, die Urlaubsabgeltung, kürzen […]. Der Arbeitnehmer erhält dann die im Umfang verminderte Urlaubsabgeltung.“

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird der Anspruch auf Urlaubsabgeltung jedoch nicht mehr als Surrogat des Urlaubsanspruchs, sondern als ein „reiner Geldanspruch“ verstanden (BAG 04.05.2010 – 9 AZR 183/09; 09.08.2011 – 9 AZR 365/10; 19.06.2012 – 9 AZR 652/10). Zuvor galt noch ein klarer Gleichlauf zwischen dem eigentlichen Urlaubsanspruch und dem allein bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehenden, den verbliebenen „Resturlaubsanspruch“ ersetzenden Urlaubsabgeltungsanspruch. Eine Urlaubsabgeltung sollte dementsprechend nur dann und nur insoweit möglich sein, wie dem Arbeitnehmer noch Urlaub hätte gewährt werden können.

Wandelt sich demnach der bisherige Urlaubsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen „reinen Geldanspruch“, verbleibt ab diesem Moment mithin kein Urlaubsanspruch mehr, welcher noch nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG gekürzt werden könnte. Das Bundesarbeitsgericht führt seinen in 2010 begonnen Rechtsprechungswandel im Urlaubsrecht damit konsequent fort, wenn es nunmehr in seiner Entscheidung vom 19. Mai 2015 (9 AZR 725/13) klarstellt: „Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub wegen Elternzeit nicht mehr kürzen. Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG […] setzt voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht. Daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat.“

Empfehlung

Da der Arbeitgeber seine Kürzungserklärung nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt – vor (!) der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – auszusprechen hat, sondern diese vielmehr auch schon vor Beginn der Elternzeit abgeben kann, empfiehlt es sich also, diese auch bereits frühestmöglich abzugeben. Endet das Arbeitsverhältnis nicht mit der Elternzeit, kann die Kürzungserklärung freilich auch nach wie vor noch nach der Elternzeit abgegeben werden. Die Kürzungserklärung kann dabei ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen. So reicht hierfür aus, dass dem Arbeitnehmer nur der entsprechend gekürzte Urlaub gewährt wird oder für ihn erkennbar ist, dass der Arbeitgeber von seiner Kürzungsmöglichkeit Gebrauch machen will. Sollte das Arbeitsverhältnis allerdings mit der Elternzeit enden, führt an der ausdrücklichen – und rechtzeitigen – Erklärung aber kein Weg vorbei.

Ausblick

Die umstrittene Frage, ob die in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG geregelte Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers überhaupt mit europarechtlichen Vorgaben vereinbar ist, konnte vom Bundesarbeitsgericht noch unbeantwortet bleiben. Von der Vorinstanz, dem Landesarbeitsgericht Hamm (27.06.2013 – 16 Sa 51/13), wurde sie jedenfalls bejaht. Es bleibt abzuwarten, ob diese Rechtsansicht auch von den Erfurter Bundesrichtern geteilt werden wird.

Dr. Stefan Rein

Dr. Stefan Rein

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht